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Richard J. Evans Darstellung des Dritten Reichs nimmt sich viel vor, lässt aber einige Fragen offen.

Es sind zwei Erwartungen, die mit Richard J. Evans Darstellung des Dritten Reichs verbunden sind. Der Verlag wirbt mit der Behauptung, das dreiteilige Projekt sei "die erste Gesamtdarstellung des Nationalsozialismus". Und der Autor selbst verrät im Vorwort zum jetzt erschienen ersten Band, dass er nicht für die Wissenschaft, sondern für ein breites Publikum geschrieben habe, für "Leserinnen und Leser, die nichts oder nur wenig über das Thema wissen und gerne mehr erfahren möchten".

Die Werbung der Deutschen Verlags-Anstalt ist allerdings ein bisschen hoch gegriffen. Tatsächlich gibt es wohl kein historisches Thema, das (in ähnlich kurzer Zeit) so oft und ausführlich behandelt wurde. Eins aber kann Evans mit seinem Buchprojekt für sich in Anspruch nehmen: mit mehr als 2000 Seiten ist seine Gesamtdarstellung die bislang umfangreichste. Überhaupt braucht Evans, der als Gutachter im Prozess gegen den Auschwitz-Leugner und neonazistischen Historiker David Irving weltweit Aufsehen erregte, den Vergleich mit den Vorgängern nicht zu scheuen. Nur weil er ein Buch für jedermann angekündigt hat, muss man keine Sensationsmache erwarten. Und auch keine polarisierenden Thesen wie die vom "exterminatorischen Antisemitismus", mit der Daniel Jonah Goldhagen in "Hitlers willige Vollstrecker" für Aufregung sorgte. Evans hat ein detailliertes und differenziertes Buch geschrieben, das in seiner Gelehrsamkeit an Ian Kershaws Hitler-Biografie erinnert.

Eine Herausforderung

Für den unbedarften Leser aber, der sich in der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts nicht so gut auskennt, ist Evans Buch auch eine Herausforderung. Unter der Überschrift "Das Vermächtnis der Vergangenheit" bietet er etwa eine 100-seitige Strukturgeschichte der Jahre 1871 bis 1918. Den Siegeszug nationalistischer und antidemokratischer Kräfte, die aus der deutschen Niederlage im 1. Weltkrieg nur noch gestärkt hervorgingen, erklärt Evans überzeugend mit den Widersprüchen des Deutschen Kaiserreichs. Darum will auch er von der These einer zwangsläufigen Kausalität - von Luther zu Hitler - nichts wissen. Was Evans rekonstruiert, ist das Klima einer militaristischen und überkommenen Gesellschaft, die sich mit den Herausforderungen der Moderne - dem Entstehen von Massengesellschaft und Massenkultur sowie dem Zerbrechen alter Elitestrukturen - machtlos ausgeliefert sieht. Ein Stück greift Evans hier dem neuestem Buch von Rafael Seligmann vorweg, der den Erfolg von Hitler und NSDAP aus einem Unbehagen mit den Zumutungen der Moderne zu erklären versucht.

Aus dieser Perspektive ist - um mit Hannah Arendt zu sprechen - das fast schizophrene Festhalten am Militarismus über das Ende des Kriegs hinaus zu verstehen, nicht zu entschuldigen. Die Niederlage war, auch das macht Evans nachvollziehbar, für Deutschland und die Deutschen wie ein Absturz ins Chaos und ins Unvorstellbare. Plötzlich machten Wohlstand, Erfolg und Sicherheit einer bedrohlichen Gemengelage aus Inflation, Revolution, Bürgerkrieg und Putschversuchen Platz. Dankbare Bedingungen für "Dolchstoßlegende" und den Mythos vom ungeschlagenen Soldaten. Es sind fast zwangsläufige Schlüsse, die Evans aus der überkommenen Militarisierung der deutschen Gesellschaft zieht: die Bereitschaft zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Und seit Clausewitz heißt das Krieg.

Fast ein Drittel des ersten Bandes kommt Evans ohne Hitler aus. Den Aufstieg Hitlers, seinen gescheiterten Putschversuch mit anschließender (Ehren-)Haft in Landsberg schildert Evans stringent. Besonderes Augenmerk legt er aber auf die ersten Wochen der Kanzlerschaft Hitlers, um ein möglichst genaues Bild des Terrors zu zeichnen, mit dem die Nationalsozialisten vor allem die Kommunisten und Sozialdemokraten zu unterdrücken versuchten. Im Kapitel "Die Schaffung des Dritten Reichs" schildert Evans ausführlich die Fortführung von Unterdrückung durch Terror, die sich nun auch gegen die bürgerlichen Parteien richtet. Die Aussage, die Evans hier macht, richtet sich nochmals gegen die These von einem "deutschen Zwangsweg" zum Nationalsozialismus. Der blutige Terror der ersten Monate nach der Machtübernahme Hitlers ist nur vor dem Hintergrund der massiven Gegenwehr der republiktreuen Teile der Bevölkerung zu verstehen. Wer hier an die Macht kam, konnte sich nicht auf die Mehrheit der Bevölkerung stützen. Ohne Terror wäre eine Regierung Hitler wohl unmöglich gewesen.

Evans hat ein überzeugendes und gut lesbares Buch geschrieben, das neugierig auf die folgenden Bände macht. Den Aufstieg Hitlers jenseits der strukturellen Situation verstehbar zu machen, gelingt aber auch Evans nicht: Wie konnte aus Deutschland und den Deutschen das Dritte Reich und die Vollstrecker des Holocausts werden?

Das Dritte Reich

Band 1: Aufstieg

Von Richard J. Evans

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004

752 Seiten, geb., e 41,10

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