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Prager Gestalten

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Ich weiß, daß der große deutsche Schauspieler Paul Wegener mehrere Frauen hatte, die sich — trotz Rivalität und Scheidung — beim jeweiligen Geburtstag „ihres“ Pauls und Exgatten einträchtig in seinem Berliner Heim, das im letzten Weltkrieg mit seinen chinesischen Sammlungen gebombt wurde, trafen. Aber für mich als Prager gab es nur eine Frau Wegener, und das war Lyda Salmonovä, die Tochter eines Prager Arztes, die trotz tschechischer Muttersprache am Prager Nationaltheater keime Erfolgsmöglichkeiten sah und nach Berlin ging, um Reinhardt-Schülerin zu werden. Dort erblickte sie Paul Wegener, der große Bühnenheld, den die junge Lyda Salmonovä — wie sie mir oft erzählt hat — bereits als Helden bei Prager Gastspielen im damaligen Holzsommertheater hinter den Stadt-sehanzien bewundert hatte, so auch als Gyges in Hebbels „Gyges und sein Ring“. Paul Wegener, der Naturbursche, wollte Lyda rasch erobern, aber er wurde gewarnt: Lyda ist aus gutbürgerlichem Hause, unzugänglich, für kein Schauspieler-abenibeuer zu haben. „Und für eine Heirat auch nicht?“ fragte Paul die zu Stein erstarrten Kollegen und Kolleginnen.

Und so wurden Palul und Lyda ein standesamtlich getraute Paar und kamen oft zu den Schwiegereltern nach Prag zu Besuch. Paul war begeistert von Prag, von seinen romantischen Gäßchen und der Hradschinburg. Er war der erste deutsche große Schauspieler, der bei der Filmproduktion vor dem I. Weltkrieg mitmachen wollte. Seine Bedingung war.:.Eine große Doppelrolle;-und Prag als Hintergrund. Den Stoff fand er bald. Er verband die Geschichte des Schlemihls aus Chamis-sos Novelle mit dem Präger Kolorit, der jüdische Pechvogel Schlemihl, der sein Spiegelbild verkaufte, wurde zum Studenten von Prag, Balduin. Paul Wegener war der Balduin, der beste Fechter von Prag, Lyda Salmonovä war Lyduschka, ein Zi-geumermädchen. So wurde vor Präger Hintergründen und auf dem Jüdischen Friedhof von der Deutschen Biscopegesellschaft im Jahre 1913 der erste Film gedreht, dessen Werdegang von Hanns Heinz Ewers als „seine“ Idee in Buchform herausgegeben wurde. Einen zweiten Film, „Der Student von Prag“, drehte 1926 Konrad Veidt, Werner Kraus spielte den Scapinelli und Elise la Porta die Lyduschka. Heinrich Nee-ren hat dann die Idee zu einem Opernlibretto verarbeitet, aber nur der Wegener-Film lebt noch heute in unserer Erinnerung.

Noch während des I. Weltkrieges drängte der entlassene Kriegsfreiwillige Paul Wegener seine Gattin, einen zweiten Filmstoff zu finden, und Lyda Salmonovä übersetzte ihm die „Alten böhmischen Sagen“ von Jiräsek. Dort gefiel Paul Wegener besonders die Golem-Sage als anziehende und spannende Legende, und wieder schuf er mit seinem Golem-Film trotz Hindernissen in Prag einen zweiten Welterfolg. Die jüdische Gemeinde in Prag wollte das Filmen auf dem Friedhofe nicht gestatten, Replicas der Grabsteine mußten geschaffen und im Berliner Atelier aufgebaut werden. — Der Filmstreifen verbrannte und Paul Wegener mußte einen zweiten machen, die Außenaufnahmen diesmal in Hildesbeim. Gleichzeitig erschien der Golem-Roman von Gustav Mey-rink, ein Bestseller vor 50 Jahren, ein Vorläufer des Expressionismus. Franz Kafka hat beide Filme gesehen...

Vor kurzem war Frau Wegener 80 Jahre geworden. Ich habe viele Stunden mit ihr verplaudert, gehört, wie Paful Wegener wegen der Bombenangriffe dafür war, daß sie — die Tschechin — zurück ins ungefährdete Prag zurückkehre, wo sie einen Bruder hatte. Ich habe sie in ihrem mit Buchborden und Theaterbildern geschmückten Zimmer, wo sie sich als Untermieterin einschränken mußte, oft besucht und immer mit Staunen zur Kenntnis genommen, daß sie trotz ihres Alters, das sie nie verriet, Stunden gab: jungen Adeptinnen der tschechischen Bühne. Große Erfolge hatte sie bei Sängerinnen, denen sie eine prägnant deutliche Aussprache beibrachte. Offizielle Theaterschulen nahmen sie als Lehrerin nicht zur Kenntnis, weil sie ihre Laufbahn mit der deutschen Theaterwelt verbunden hatte Sie erklärte mir aber, weshalb sie das damals getan hatte, als sie zu Reinhardt ging. Das Rollenfach, für das sie in Betracht kam, war gerade für Jahrzehnte mit einer bereits reifen Künstlerin besetzt, so daß sie in Prag fast keine Aussichten haltte. Sie ist aber auch in Berlin eine gute Tschechin geblieben.

Im November des vergangenen Jahres ist sie gestorben. Eine große Künstlerin, die noch den Abglanz der großen Berliner Theaiterzeit zwischen beiden Weltkriegen in sich getragen und mit sich nach Prag gebracht hat, in ihre Vaterstadt: Ihr, Lyda Salmonovä, und dieser Moldaustadt verdankt die Geschichte des deutschen Films die Inspiration zu zwei großen Kunstwerken: dem Studenten von Prag und dem Prager Roboter „Golem“.

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