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Gottfried Wagner und Abraham Peck im "Post-Holocaust-Dialog".

Der Holocaust ist zu riesig, zu bösartig und zu gewalttätig, zu mörderisch: Man kann ihn durch die Lektüre von Büchern oder das Anschauen von Filmen nicht in den Griff bekommen. Zwei Deutsche, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Nähe einstiger NS-Hochburgen, und zwar in Landsberg und Bayreuth, auf die Welt kamen, bemühten sich, eine Art Heilung und vielleicht den Beginn eines wirklichen Dialogs zwischen Deutschen und Juden zu erreichen. Das Ergebnis liegt mit dem Titel Unsere Stunde Null als Buch aus Wien vor.

Gottfried Wagner, im Jahr 1947 als berühmter Urgroßenkel des Komponisten geboren, und Abraham Peck, ein Jahr früher als Sohn zweier Holocaust-Überlebender auf die Welt gekommen, wagten den steinigen Weg des offenen Gesprächs, um zu verstehen, wer sie aufgrund des Erbes ihrer jeweiligen Familiengeschichte sind, und wer sie hoffen, trotz dieses Mit-Besitzes, werden zu können. Beide Autoren sind die Begründer der Post-Holocaust-Gruppe, die im Jahr 1992 entstanden ist. Es verbindet sie das Engagement für Menschenrechte und ihre subjektive Reaktion auf die unveränderbare Lebensgeschichte. Bezeichnend ist, dass heute beide außerhalb Deutschlands leben.

Der Dialog, dieser unentbehrliche Meinungsaustausch zwischen Deutschen und Juden, ist geradezu ein Minenfeld möglicher falscher Schritte: Auf jüdischer Seite können die persönlichen Aspekte dieser Geschichte unerträglichen Schmerz und große Wut hervorrufen, auf der deutschen Schuldgefühle und Scham. Unter diesen Bedingungen ist die Konstellation der Gesprächspartner einzigartig: Abraham Pecks Eltern waren die einzigen Überlebenden zweier großer deutsch-jüdischer Familien. Gottfried Wagners Familie hingegen ist eine der berühmtesten und politischsten Deutschlands. Wagner und Peck geht es um die Überwindung von Angst, Hass, Misstrauen und auch Schuldzuweisungen, die jede Form des Dialogs nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Deutschen und Juden der zweiten und dritten Nachkriegsgeneration unmöglich zu machen scheinen. Beide Gesprächswilligen steigen in die Auseinandersetzung offen ein und begreifen dabei ihre Familiengeschichten als relevanten Teil historischer Erkenntnis. Statt Schönfärberei fordern sie die Bereitschaft, aus den eigenen Erfahrungen der Vergangenheit für eine Zukunft nach dem 11. September 2001 zu lernen und danach zu handeln. Interessant, nein vielmehr beschämend ist, dass dieser Dialog des Vereinenden und Versöhnenden in Deutschland zu Beginn des dritten Jahrtausends im Sinn Hölderlins geführt werden muss: "Wo die Gefahr wächst, da wächst das Rettende auch."

Der Part, den der hochbegabte, gebildete, kultivierte und friedliebende Gottfried Wagner im Buch öffentlich übernehmen muss, ist offensichtlich der unangenehmere. Und hier besticht Wagner mit seiner schonungslosen Offenheit. Berührend sind die intimen Passagen, in denen er ohne verschämte Distanz die Liebe zu seiner Ehefrau Teresina und die tiefe Zuneigung zu seiner "italienischen Familie" mit Mamma Antonietta beschreibt. Die Schilderungen Abraham Pecks, dieses hoch angesehenen und engagierten Historikers sowie Judaisten, der seine Heimat in den Vereinigten Staaten von Amerika gefunden hat, sind stellenweise sehr berührend. Erstickendes Schweigen, unerklärbare Angst werden nahezu greifbar.

Unsere Stunde Null

Deutsche und Juden nach 1945: Familiengeschichte, Holocaust und Neubeginn. Historische Memoiren

Von Gottfried Wagner und Abraham Peck. Übersetzung der Texte Abraham Pecks aus dem Amerikan. von Marie-Therese Pitner und Susanne Grabmayr. Böhlau Verlag, Wien 2006

428 Seiten, geb., € 24,90

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