Schonungslose Blicke in kriegsverletzte Seelen

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Seit 2014 erinnern Sachbücher, Gedenkveranstaltungen und Medien beiträge an die Gräuel des Ersten Weltkrieges. Der Literatur sind andere Blicke möglich. Sie kann auf Landschaften blicken, in denen nach den Schlachten verkohlte Baumstümpfe stehen bleiben, aber auch in die Seelen. Dort hat der Krieg besondere Massaker angerichtet. Davon erzählen einige Romane der 1943 in Thornaby-on-Tees geborenen englischen Schriftstellerin Pat Barker. In "Niemandsland"(1991, dt. 1997) sucht sie ein Hospital bei Edinburgh auf. Dort behandelte der Arzt W. H. R. Rivers mit für seine Zeit beeindruckenden Methoden psychisch zerstörte Männer. Erinnerung und Bewusstwerdung sollten den verwundeten Soldaten helfen, ihre Kriegstraumata zu überwinden, die sich in Träumen und physischen Zuständen äußern und von denen Barker schonungslos erzählt. "Regeneration" heißt dieser später verfilmte Roman im Original, und der Titel verweist auf das Problem nicht nur des Arztes: Genesung bedeutet nämlich Wiederherstellung für den Kriegseinsatz. Ziel ist wieder die Zerstörung.

Barker widmete dem Thema ihre "Regeneration trilogy": Der zweite Band "Das Auge in der Tür"(1993, dt. 1998) setzt im April 1918 ein. England versucht, sich mit allen Mitteln gegen Andersdenkende von innen (etwa Pazifisten) und außen zu wehren und von den grausamen Geschehen an der Front abzulenken. Der dritte Roman der Trilogie, "Die Straße der Geister", wurde 1995 mit dem Booker Prize for Fiction ausgezeichnet (dt. 2000).

Die studierte Historikerin, schonungslos von ihrem ersten Buch "Union Street"(1982) an, arbeitet in ihre Fiktionen historische Fakten und Persönlichkeiten ein. Aufritt hat etwa der Dichter Wilfred Owen, Barkers Werke lesen sich denn auch wie Ausfaltungen seines berühmten Gedichtbeginns "Welch Grabgeläute denen, die wie Schlachtvieh sterben?" Stimme verleiht sie auch dem Poeten Siegfried Sassoon, der als Soldat im Juli 1917 "Schluß mit dem Krieg!" fordert: "Diese Erklärung gebe ich ab in einem Akt bewußter Mißachtung der militärischen Autorität, da ich glaube, daß der Krieg von denjenigen, die ihn beenden könnten, absichtlich verlängert wird." Freund und Schriftstellerkollege Robert Graves schützt Sassoon vor dem Kriegsgericht, indem er hilft, ihn in Rivers Anstalt einzuweisen. Angesichts der Gedenkjahre-Bücherflut zum Ersten Weltkrieg irritiert es besonders, dass die Romane von Pat Barker hierzulande so wenig wahrgenommen werden, kaum übersetzt sind oder vergriffen.

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