Humanismus und Kriegsbegeisterung

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Seit W. G. Sebald 1999 in seinem Essayband "Luftkrieg und Literatur" dreist behauptete, es habe keine literarische Verarbeitung der alliierten Luftangriffe gegeben und dabei einfach alle vergessenen Romane zum Thema übersah, werden derartige Absenzerklärungen recht leichtfertig abgegeben. Ein Kritiker hat vor kurzem behauptet, Scheidungen seien in der deutschsprachigen Literatur kaum ein Thema, obwohl die junge Literatur voll ist damit; ein anderer meinte zum Gedenkjahr 2014, in Österreich würde sich die Literatur nicht mehr für den Ersten Weltkrieg interessieren, obwohl gerade in den letzten Jahren Bücher wie Bettina Balàkas "Eisflüstern" (2006) oder Walter Kliers "Leutnant Pepi zieht in den Krieg. Das Tagebuch des Josef Prochaska"(2008) erschienen sind. Auch in England sind jene Bücher, die nun punktgenau als Übersetzungen vorliegen, meist schon vor einigen Jahren erschienen und in jedem Fall eine Bereicherung, weil sie ganz andere Aspekte und Sichtweisen einbringen.

Die 1943 geborene Pat Barker legte bereits Anfang der 1990er-Jahre ihre Trilogie "Regeneration" über traumatisierte britische Offiziere und andere Kriegsfolgen vor, 2012 schrieb sie mit "Tobys Zimmer" einen weiteren Roman zum Thema. Im Zentrum steht ein inzestuös verbundenes Geschwisterpaar aus wohlhabenden Verhältnissen: Elionor besucht die Kunstakademie, Toby wird Arzt und meldet sich 1914 freiwillig an die Front. Wie radikal der Krieg alles verändert, spielt der Roman am Freundeskreis der Geschwister durch, der bis zum Zirkel um Virginia Woolf reicht. Glaubt Elionor zu Beginn noch, sich als Frau zum Krieg neutral verhalten zu können, wird auch ihr bald klar, dass nichts mehr so ist und sein kann wie vor 1914. Und der Krieg hört 1918 nicht auf, für ihren gesichtsverwundeten Kollegen so wenig wie für sie selbst, die hartnäckig versucht, die genauen Umstände von Tobys Heldentod an der Front zu erfahren. Sie sind ganz anders als imaginiert und ziemlich unrühmlich.

Den überfallenen Ländern beistehen

Schon in Pat Barkers Roman ist das Ansehen der Kriegsfreiwilligen starken Schwankungen unterlegen. Anders als in den Aggressorenländern Österreich und Deutschland war die Kriegsbegeisterung in England zunächst nicht nur eine patriotische, sondern auch eine humanistische Tat: Es galt den überfallenen Ländern beizustehen. In Sebastian Barrys Roman "Ein langer, langer Weg", der bereits 2005 erschien, wird die Sache noch etwas komplizierter. Willie Dunne, Sohn eines irischen Polizisten, zieht 1915 mit 19 Jahren als tumber Tor in den Krieg. Mit tausenden anderen Freiwilligen aus Irland kommt er nach Flandern, überlebt jahrelang den Stellungskrieg mit all seinen sinnlosen Brutalitäten, samt Senfgasangriffen. Doch während die irischen Soldaten für den englischen König kämpfen, schlagen britische Soldaten die irischen Rebellen des Osteraufstands brutal nieder. Vom Versprechen, den Iren für ihren Fronteinsatz die Selbstverwaltung zu gewähren, ist nichts mehr übrig geblieben. Und während die irischen Truppen vor Ypern fast vollständig aufgerieben wurden, halten sich hartnäckig Gerüchte über ihre politische Unzuverlässigkeit.

Spätestens bei seinem zweiten Heimaturlaub im Frühjahr 1918 ist Willies gesamte Welt zusammengebrochen. Seine Freundin hat geheiratet, sein Vater beschimpft ihn wegen seiner kritischen Haltung gegenüber England, und Willie versteht die Welt nicht mehr oder eigentlich immer noch nicht: "hier die eigenen Landsleute, die einen verhöhnten, weil man in der Armee war, dort die Armee, die einen verhöhnte, weil man sich hatte abschlachten lassen". Die Sprache des Romans, in der Übersetzung von Hans-Christian Oeser, ist martialisch und deftig - doch anders als bei vielen Frontromanen wirkt jeder Fluch und jede Unflätigkeit hier am richtigen Platz. Sebastian Barry, 1955 in Dublin geboren, liefert nicht nur ein spannendes Kapitel irischer Geschichte, sondern auch einen in seiner Schonungslosigkeit beeindruckend neuen Blick auf die Materialund Menschenschlachten in Flandern -wo nicht nur kein Stein auf dem anderen blieb, sondern das gesamte Land zur Unkenntlichkeit zerbombt wurde.

Tobys Zimmer Von Pat Barker, übersetzt von Miriam Mandelkow, Doerlemann 2014.400 Seiten, gebunden, € 24,60

Ein langer, langer Weg Von Sebastian Barry, übersetzt von Hans-Christian Oeser, Gerhard Steidl Verlag 2014.368 Seiten, gebunden, € 24,70

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