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Die Welt, von Irland aus gesehen

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SILBERVOGEL. Meistererzählungen aus Irland. Von Liam O'Flaherty. 280 Seiten. — DIE REISE NACH DUBLIN. Roman. Von Frank O'C o n n o r. 380 Seiten. Beide aus dem Englischen übertragen von Elisabeth Schnack. Beide Diogenes-Verlag, Zürich, 1961. Preis 18.80 und 19.80 sfr.

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SILBERVOGEL. Meistererzählungen aus Irland. Von Liam O'Flaherty. 280 Seiten. — DIE REISE NACH DUBLIN. Roman. Von Frank O'C o n n o r. 380 Seiten. Beide aus dem Englischen übertragen von Elisabeth Schnack. Beide Diogenes-Verlag, Zürich, 1961. Preis 18.80 und 19.80 sfr.

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Seit einem Jahr bemüht sich der Diogenes-Verlag für den deutschsprachigen Leser, aus der Fülle irischer Literatur Meistererzählungen und -romane — wie der anspruchsvolle, aber zu Recht bestehende Titel lautet — auszuwählen und in einer, die herbe Melodie des Iro-englischen einfangenden Übersetzung von Elisabeth Schnack herauszugeben. Neben W. B. Yeats, G. B. Shaw, James Joyce und Samuel Beckett sind Liam O'Flaherty und Frank O'Connor (hierher gehören auch noch George Moore und Sean O'Faolain) in der, Weltliteratur längst keine Unbekannten mehr.

Liarri O'Flaherty wurde 1Ss-7 auf den Aran-ks-eJs-~im---Westen von •Irland -geboren. Von seiner Familie war er zum Priesteramt bestimmt worden. Er aber entschloß sich anders und trat bei den Irish Guards ein. Im ersten Weltkrieg wurde er in Frankreich verwundet, darnach durchzog er vagabundierend Irland. Hin und wieder arbeitete er als Holzfäller oder in einer Fabrik. 1922 nahm er an einer Arbeitslosenrevolte teil und mußte daraufhin Irland verlassen. Als Heizer und Matrose zog er nun weiter durch die Hafenstädte der Welt. In diese Zeit fällt auch die Entstehung seines ersten Romans, dem später, als er wieder nach Irland zurückgekehrt war, dreizehn weitere folgten (drei wurden bald nach ihrem Erscheinen verfilmt: The Informer, 1925; The Puri-tan, 1931; Famine, 1937). Heute lebt er als Schriftsteller abwechselnd in Paris, New York und auf seiner Heimatinsel.

Im Erzählband „Silbervogel“ sind Geschichten aus den jüngsten Jahren seines Schaffens gesammelt, doch noch immer spiegeln sie die bewegte Lebensperiode seiner Jugend wider. Im Mittelpunkt seiner Erzählungen stehen Vagabunden, entlassene, arbeitslose Soldaten, Fischer der Westküste und immer wieder der Kesselflicker, der Ärmste der Armen. Es wird nicht geklagt oder gar angeklagt, es wird ganz einfach und schlicht geschildert. Aber unter dieser Haut alltäglicher Worte glüht eine unbändige Leidenschaft, aus welcher die Armseligen seiner Geschichten leben, lieben und sich mit allen Fasern ihres Daseins gegen den Tod wehren. Die Titelgeschichte berichtet von einer Familie, die sich durch ihren Pferdefanatismus nahezu zugrunde gerichtet hat. Ihr Rennpferd „Silbervogel“ kann Rettung oder Ruin bedeuten. Die dreiundsechzigjährige Tante wird trotz ihrer Kurzsichtigkeit das Rennen für die Familie wagen. Spannung und Tempo der Erzählung sind für den Leser ins kaum Erträgliche gesteigert, so geschickt versteht es Liam O'Flaherty, alles auf diesen einzigen Höhepunkt des Rennens hinzuleiten.

Frank O'Connors Roman „Die Reise nach Dublin“ ist, wie ein Großteil seiner Werke, autobiographisch. So wie der junge Phil im Roman, wächst er im Armenviertel von Cork auf (er wurde 1903 geboren). Schon als ganz kleiner Junge beginnt er sich durch das Lesen von Büchern selbst zu bilden, angespornt durch seine Mutter, die durch harte Arbeit und eiserne Sparsamkeit dem Sohn eine höhere Schulbildung ermöglicht. Der frühe Tod seiner Mutter lastet schwer auf der Seele des noch nicht ganz ausgereiften Knaben. In seinem 1961 erschienenen Buch „An Only Child“ schildert er noch deutlicher, wie

Liebe zu seiner Mutter ihn bis in die Zeit der Freiheits- und Bürgerkriege, an denen er teilnahm, getragen und sein Handeln bestimmt hat. Nach der Befreiung Irlands war er Bibliothekar und Direktor des Abbey-Theaters. Gemeinsam mit William Butler Yeats war er einer der führenden Vorkämpfer für die Neilbelebung des Gälischen und der irischen Literatur. Außer seinen drei Romanen: „The Saint

and Mary Kate“, 1932 (Die Reise nach Dublin); „Dutch Inferior“, 1940 (der lange Zeit in Irland verboten war), und „An Only Child““, 1961, erschienen von O'Connor mehrere Bände mit Kurzgeschichten, von denen zwei, „Die lange Straße nach Ummera“ und „Und freitags Fisch“ (beide Diogenes-Verlag), nun auch in deutscher Übersetzung vorliegen. Heute lebt O'Connor in den Vereinigten Staaten, wo er auch als Gastprofessor an verschiedenen Universitäten wirkt, und er kommt nur noch besuchsweise nach Irland. In seinen Werken aber ist er ganz und gar Ire geblieben.

Phil und Mary wachsen gemeinsam in einer Mietskaserne am Rand von Cork auf. Beide versuchen auf ihre Weise, aber für-

einander, aus der Armut ihrer Umgebung herauszukommen: Er durch ungeheure Selbstbeherrschung, durch Ehrgeiz und religiöse Aktivität; sie ist schön, und weiß es, und weiß auch, daß sie dadurch viel erreichen kann, wenn sie es nur klüger anstellt als ihre Mutter, die es nur zu zwei unehelichen Kindern gebracht hat. Frank O'Connor versteht es meisterlich, das Milieu aus Hunger und Luftschlössern, von sich ähnelnden, aber doch nicht gleichenden Eigenbrötlern zu schildern. Es gibt keine Herdenmenschen, jeder bildet eine eigene Welt für sich, selbst die Kinder sind ein kleines Weltchen in der Mietskaserne, die sie „Puppenhaus“ nennen, und die sie alle zusammenschweißt.

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