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Esprit nicht geschätzt

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Frank O'Connor, einer der erfolgreichsten irischen Schriftsteller unserer Tage, starb 1966, 63jährig. Er hinterließ eine unvollendete Selbstbiographie, deren erster Teil unter dem Titel „Einziges Kind“ vor Jahren Welterfolg errang. Nun erscheint diese Fortsetzung, für die der Autor noch den Titel ausgesucht hat Der Herausge .er nennt sie mit Recht „kulturgeschichtlich noch wichtiger“. Doch fällt sie künstlerisch etwas ab. Denn, aus teils abgeschlossenen, teils unfertigen Stücken und Entwürfen komponiert, ist der zweite Teil vollendetes Ganzes. Der Leser zieht dennoch größten Gewinn aus dieser Lektüre, auch dann, wenn er mit den irischen Literaturverhältnissen der zwanziger- und dreißiger Jahre — und von nichts anderem ist darin die Rede — nicht oder nur wenig vertraut sein sollte. Von der ersten Zeile an erwacht sein Interesse am Leben und an der Arbeit dieses Künstlers, dessen hohen literarischen Rang zu bestimmen, dieses eine Buch genügte. Der Lebensbericht dieses Teiles der Biographie umfaßt die Jahre vom Ende des Bürgerkrieges, als der 21jährige, der auf der Unterliegerseite gekämpft hat, das Internierungslager verläßt, bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges. Der Schauplatz wechselt von O'Connors Heimatstadt Cork, wo er als Gälisch-lehrer ein sehr bescheidenes Fortkommen findet, nach dem nördlich gelegenen Sligo, das ihm einen besser bezahlten Posten, den eines Bibliothekars, anbietet, welche Tätigkeit er später in Dublin fortsetzt. Dort wird er, nachdem er Beziehungen zu zahlreichen Mitarbeitern des berühmten Abbeytheaters angeknüpft hat, für mehrere Jahre Leiter dieses Institutes. Doch schließlich, nach einem als Warnung aufgefaßten Traum, glaubt er sein eigentliches, allem bloß Organisatorischen im Grunde abgeneigtes Naturell zu erkennen und beschließt, von nun an nur noch zu schreiben. Selten wird man Künstlerisches und Künstlertum so' unprätentiös geschildert finden wie hier. Die ganze kraftvoll-feinsinnige Persönlichkeit und das dichterische Wesen des Nobelpreisträgers Yeats offenbart sich uns aus ein paar geistvollen Aussprüchen bei der täglichen Zusammenarbeit, die, ohne jeden Versuch einer Überhöhung, aus der Erinnerung wiedergegeben werden. O'Connor verzichtet auf großen Ausdruck. Sein Realismus — man möchte ihn zum Unterschied vom poetischen Realismus seines Dichterfreundes O'Faolain, unpoetisch nennen — läßt das Große sich selbst ausdrük-ken. Indem er das Ungewöhnliche gewöhnlich sagt, wird seine Un-gewöhnlichkeit sichtbar. Mit wie wenigen Worten drückt er doch die Quintessenz seiner Theatererfahrung aus: Theater ist eine Zusammenarbeit von Dramatiker, Schauspieler und Publikum! Alles Philosophische hat die Einfachheit der Bergpredigt. Er brauchte es uns nicht eigens zu sagen, daß er „Esprit nicht übermäßig schätzt“. In der angenehmen Kühle dieses Stils 'wirken die Glanzlichter des Gemütvollen dann um so eindringlicher und zuweilen erschütternd. Ein echter Ire: immer fast und oft wirklich ein Poet.

„MEINES VATERS SOHN.“ Autobiographie von Frank O'Connor. 2. Teil. Aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth S chack. Diogenes-Verlag AG Zürich, 328 Seiten Leinen DM 22.80.

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