Literatur im Bürgerkrieg

Werbung
Werbung
Werbung

Die irische Gegenwartsliteratur ist weniger von den sattsam bekannten "Grüne Insel"-Klischees denn vom Nordirlandkonflikt geprägt.

Ein Interview mit Dublins lyrischer Band "The Frames" in der Hotelbar des "Europa", dem meistgebombten Gebäude in ganz Belfast. Nach der letzten Frage verlagert sich das Gespräch auf die unheimliche Aura dieses Hauses. Es ist schon weit über Mitternacht. In Anbetracht der fortgeschrittenen Stunde und meines weiteren Programms wird es Zeit, sich auf den Rückweg nach Dublin zu machen. Am nächsten Tag geht das Flugzeug nach Wien, zu "Irland erzählt", einer Lesereihe des Kunstvereins Alte Schmiede, die vor nunmehr zwei Wochen in der Österreichischen Nationalbibliothek stattfand. Ein Kurzaufenthalt in Belfast ist ein allemal interessanterer Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit Irland und seiner Gegenwartsliteratur, als das Ausleben sämtlicher "Grüne Insel"-Phantasien in irgendeinem heimeligen Pub in County Clare.

Das aufrichtige Bemühen der Konfliktparteien, zu einem geordneten Zusammenleben im jahrzehntelang vom Bürgerkrieg erschütterten Nordirland zu finden, hat mit dem Karfreitagsabkommen von 1998 eine neue Qualität erreicht. Trotz mancher Rückschläge und erneuter Gewalteruptionen ist nach den jüngsten Entwicklungen ein hoffnungsvoller Optimismus durchaus vertretbar. Nach zähem Verhandeln war es am 6. November doch noch gelungen, David Trimble, den Friedensnobelpreisträger von 1998, wieder als First Minister des Regionalparlaments zu bestellen. Damit scheint der Friedensdialog wieder auf Kurs gebracht, was seit Juli dieses Jahres schon in weite Ferne gerückt schien, als der gemäßigte Ulster-Unionisten Parteivorsitzende Trimble sein Amt aus Protest über die ungelöste IRA-Entwaffnungsfrage zurückgelegt hatte.

Der Nordirlandkonflikt, von den Iren euphemistisch "the troubles" genannt, hierzulande ein altbewährter Rubrikenfüller im Auslandsübersichtsteil der Qualitätszeitungen, ist in der Gegenwartsliteratur des Landes ein wiederkehrendes Thema, das subtil behandelt wird. Der wunderbar humorvolle Großstadtroman "Eureka Street, Belfast" war in den letzten Jahren ein bemerkenswertes Beispiel für eine feinsinnige Auseinandersetzung fernab einer betroffenheitsüberladenen und mit Stereotypen angereicherten Erzählweise. Der vielversprechende Jungautor Robert McLiam Wilson zeichnete vielmehr parallel zur komisch turbulenten Erlebniswelt der Hauptfiguren ein gelungenes Porträt einer Stadt der Gegensätze und des Lagerdenkens samt ihrer seit Mitte der neunziger Jahre anhaltenden Entwicklung hin zur Normalität.

Politisches Geflecht

Unter der illustren Runde etablierter irischer Autoren und Autorinnen, die vom 9. bis zum 11. November in Wien weilten, befanden sich mit Anne Devlin, Deirdre Madden, John Montague und Bernard MacLaverty auch vier Schriftstellerpersönlichkeiten, deren Werk, beziehungsweise deren Biografie, ausdrücklich mit Nordirland verbunden ist. Die aus Belfast stammende Dramatikerin Anne Devlin befasste sich bereits in ihrem Theaterdebüt "Ourselves Alone" mit der Verstrickung von drei jungen Frauen in das politische Geflecht entlang trennender Zugehörigkeitskriterien und familienbedingter Loyalitätstraditionen und nähert sich entlang eines feministischen Zugangs dem Themenkreis.

Bernard Mac Laverty, der ob der Qualität seiner Kurzprosa gerne mit Cechov, Mansfield oder gar Joyce verglichen wird, stammt ebenfalls aus Belfast. In den Siebzigern, als die Gewalt in den Arbeitervierteln von Belfast entlang der Shankhill Road immer heftiger eskalierte, kehrte Mac Laverty mit seiner Familie Belfast den Rücken. Nach Anfängen als Lehrer in Edinburgh lebt er heute erfolgreich als freier Schriftsteller mit seiner Familie in Glasgow. Dieses selbstgewählte Exil erinnert mitunter an Shaw, Beckett oder Joyce, die (vor allem Joyce) fern der Heimat den irischen Mikrokosmos als Schauplatz ihrer Erzählungen wählten.

Rückkehr nach Belfast

Mac Laverty besticht in seinen Kurzgeschichten durch große Direktheit, mit seiner unkomplizierten Sprache ist er ein Meister der Alltagsgeschichte und zweifelsohne ein großartiger Erzähler. Seine beiden ersten Romane "Lamb - der Ausgeflogene" und "Cal", in dem er zur Gewalt in Nordirland Stellung nimmt, wurden erfolgreich verfilmt. 1997 wurde er für den Roman "Grace Notes", einer Geschichte über einen irischen Komponisten, für den renommierten Booker Price nominiert. In Wien las Mac Laverty aus seinem neuen Roman "The Anatomy School"; mit einem die Wirren der Adoleszenz durchlaufenden Jungen als Protagonisten kehrt der Autor einmal mehr zurück in sein Belfast der sechziger Jahre.

Spätestens seit Seamus Heaney 1995 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, und Irland sich im darauffolgenden Jahr bei der Frankfurter Buchmesse groß präsentierte, ist die wichtige und aktive Rolle irischer Autoren (wie Paula Meehan, Dermot Bolger, Patrick McCabe, John McGahern, Roddy Doyle oder Theo Dorgan) innerhalb der englischsprachigen Literatur von heute nicht mehr zu übersehen. Die Bandbreite der Perspektiven und Themen ist in einem sich rasch verändernden und wirtschaftlich boomenden Irland bei weitem größer und spannender als diverse überstrapazierte Klischees aus der Tourismuswerbung - der Selbstversuch sei an dieser Stelle wärmstens empfohlen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung