Sprache, die zu genauem Sehen lockt

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Ilma Rakusa schreibt in ihrem Prosaband "Durch Schnee" über Reisen, Beziehungen und Erinnerungen.

Es gibt den Kopfknast, ... es gibt das Fehlen. Noch immer ist mir das Kissen ein Halt. Mutter nicht da, die Schienen führen durch den Traum, aber lang." Angst - pantherschnell und obsessiv, fest verknotet mit Erinnerungen und deren Bewältigung - ist eines von vielen Themen in Ilma Rakusas neuem Prosaband "Durch Schnee." Bereits dieser kleine Ausschnitt zeigt, dass diese Erzählungen nicht leichtfertig zu lesen sind, vielmehr setzen sie Genauigkeit voraus, um sich vom dahinter Verborgenen nicht irritieren zu lassen. Hier komprimiert Rakusa Empfindungen, die lose aneinandergereiht in eine Geschichte eingesponnen werden. Ihr Erzählband verweigert sich vielfach der herkömmlichen Lesart, weil sich der narrative Fluss unzählige Male assoziativ verzweigt und in zahlreichen Seitenarmen durch die Texte mäandert. Wie ein Schwamm wird Sensitives rundherum aufgesaugt.

Natur und Geschichte

Aber worum geht es in diesem Buch nun eigentlich? Thematisch gesehen nehmen Reiseausschnitte und Naturimpressionen - aufgeladen mit substanziellen Gedanken - einen wichtigen Platz ein. Der Stadt Berlin mit den "Einschusslöchern der Geschichte", die im Besucher die Erinnerung anstoßen und ihn trotzdem nicht wirklich weiterbringen, sind einige Miniaturen gewidmet, aber auch Russland, Kroatien, Österreich, die Provence spielen eine Rolle, so wie jüdische Spuren und das wohl autobiografisch motivierte Kindheitsglück in "Miramar". Auf den Spuren Petrarcas wird der Ich-Erzählerin klar, dass anstrengende und harte Wege aus vielfältigen Gründen eingeschlagen werden. Wenn sich genug Zeit über den Stein legt, erodiert er. "Das Ich will mehr als nur ein Zeichen sein. Da schwitzt es sich in die Landschaft, wird fast zerblasen und sammelt und sammelt sich, bis es die Eigenschaft hat: das Widerstehende." Neben Reiseerinnerungen schildert Rakusa Beziehungen und ihre Wildwüchse, so etwa im Abschiedsbrief einer Frau, deren Herz das "Schattenkarussell" verlassen hat. Sie wünscht sich ihre Traumbruchstücke zu Ende zu träumen, weil es Zeit für das Tageslicht ist.

Fast alle diese Texte werden großteils nicht linear, sondern assoziativ erzählt. Rakusa baut eine dichte, lyrisch durchpulste Atmosphäre auf und faltet oder zerdehnt den Augenblick synästhetischen Empfindens.

Auf und Ab des Blicks

In der Erzählung "Gehen" heißt es: "Der Weg ist staubig und weiß. Die Sonne gleißt. Helle Falter taumeln. Rosmarin, Thymian und Lavendel verströmen den Geruch des Südens. Harter Ginster und die Weinberge von einem giftigen Grün. Der Blick hebt sich - ach diese üppigen Wegränder -, senkt sich. Der träge Schritt wirbelt kleine Staubwolken auf. Kalkstaub. Die Blüten der wuchernden Stauden sind blau. Bei jedem Aufblicken diese blaue Bescherung ... Der Blick schweift und ruht. Die mannshohen Ruten des Ginsters - die Hand fasst sie an. Glatt. Das Licht undefinierbar. Also die Augen schließen für einen kurzen schwarzen Moment. ... Zickzack der Blindheit." Bis ins kleinste Detail zeichnet Rakusa vielfältige sinnliche Ebenen nach und zoomt den Ausschnitt heran, um ihn im Heben und Senken des Blicks aufzunehmen und sprachlich einzufangen. Während des unablässigen Gehens entwickelt sich eine Innensprache im Kopf. "Sprachstille" und "Moder" können nebeneinander stehen, ohne dass es zwischen ihnen eine Verbindung gibt. Diese Konzentration auf die Sinne, das Ausschneiden und Vergrößern des Blickwinkels ist mehr als nur Beschreibung. Denn mit der Sicherheit und Sensibilität einer ausgezeichneten Beobachterin zeichnet Rakusa einen fast architektonisch geschichteten Wahrnehmungsraum nach und öffnet im Leser dabei unterschiedlichste Poren des Empfindens.

Wie ein Sprachkino

Kathrin Röggla spricht in ihrem Nachwort von einer Art "Sprachkino", das hier zur Anwendung gelange. Damit bringt sie Rakusas poetisches Verfahren sehr genau auf den Punkt. Denn tatsächlich lebt dieser Band von der Unterwanderung der "geläufigkeit des hörens", vom wilden "wechsel" der "perspektiven" und "ebenen", von unterschiedlichsten "einstellungen" und kühnen "montagen", die auch unverknüpft nebeneinander stehen.

Ilma Rakusa stellt an ihre Leser Ansprüche. Man sollte sich Zeit für diesen Band nehmen, um sich in dieser vibrierenden Dichtheit zurechtzufinden, die knistert, verschluckt, trügerisch schwingt und trägt. Belohnt wird man durch eine lyrische und konzentrierte Sprache, die eine weite Gedankenlandschaft ausbreitet und den Leser selbst zu genauem Sehen verlockt.

Durch Schnee

Erzählungen und Prosaminiaturen von Ilma Rakusa. Mit einem Nachwort von Kathrin Röggla.

Frankfurt am Main Suhrkamp 2006 246 Seiten, kart., Euro 9,30

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