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Stadtneurotiker unterwegs

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Es sind längst nicht mehr die Stones, die rollen. Auf acht kleinen Radeln, die in eine schlittschuhartige Kufe eingebaut sind, gleitet der neue Stadt- und Sportneurotiker dahin. Die Apparatur heißt Blades, die Rollmenschen heißen Skater. Und mit den Rollschuhen von Anno dazumal hat das moderne Bewegungsmittel ungefähr soviel zu tun wie die hölzernen Stemmschwung-Brettln mit den raffiniertesten Snowboards von heute.

Roller-Skating hat hingegen den Sozial-Touch egalitären Lebens-Stils. Keine Prinzessinnen, sondern die graue Emanzipation, die den Beserl-park am Stadtrand zum Centrai-Park mutiert. Wenn es nur dabei bliebe! Roller-Blades sind für den, der sie beherrscht, ein herrliches Fortbewegungsmittel. Aller städtischer Asphalt wird zur Gleitbahn. Im Gegensatz zum Reservat der Schlittschuhläufer ist das Revier des Rollers unbegrenzt. Rollt und rollt und rollt. Ein neuer Verkehrsteilnehmer ist da.

Ris zu 50 Stundenkilometern Geschwindigkeit erreichen geübte und

mit gutem Gerät beschuhte Skater. Ohne Licht, Klingel oder Hupe. Ausweichen und bremsen will gelernt sein. Während Schulen und Exekutive sich bemühen, Kindern verkehrsgerechtes Radfahren beizubringen und die Vorsichtigen sogar Kennzeichen und Führerschein für Radler fordern, rollt die Roller-Welle längst über die altmodischen Drahtesel hin-

Osterreich rollt voran, Wien rollt an der Spitze. Mit fast 300.000 Ska-ting-Ausrüstungen ist die Donaumetropole europäischer Rekordhalter (Angaben vom Rollerblade Skating Club Vienna). Selbstverständlich rollen nicht alle diese Roller unaufhörlich. Es gibt - wie bei allen Fahrzeugen - den „ruhenden Verkehr", der erfreulicherweise keine Parkplätze verstellt. Dies und die Energiebilanz machen Skating zum umweltfreundlichsten Verkehrsmittel überhaupt.

Den heute oft gehörten Vorwurf, sich per Gesetz in alles einzumischen, hat Vater Staat diesmal beherzigt. Es gibt keine „Verordnung über den Verkehr mit durch Schwungkraft bewirkten Fortbewegungsmitteln". Gesetzlich sind die Inline-Skater ein Spielzeug. Die Straßenverkehrsordnung schließt sie nicht benannt, aber

allgemein ein. Sie dürfen, wie jeder andere Verkehrsteilnehmer, niemanden behindern oder gefährden. Das gilt bekanntlich auch für Kinderwagen oder Schubkarren.

Womit die Skater, außer beim Überqueren, von Fahrbahnen und Fahrradspuren verbannt und auf den Gehsteig gewiesen sind. Dort spielt sich nun der Klassenkampf zwischen 4 km/h (Fußgänger) und 50 km/h (Roller) in zunehmender Schärfe ab. Beobachtung und Erfahrung zeigen, daß die Konkurrenz bisher mit allerhand Toleranz und Humor bewältigt wurde. Österreichs gedemütigte Fußgänger anerkennen die Vorfahrt der Blades. Bisher kam es noch kaum zu Iniines. Im Gegenteil: Mitleidige und geistesgegenwärtige Fußgänger fingen stürzende Skater im letzten Augenblick auf. Es scheint auch, daß österreichische Roller ihre Spitzengeschwindigkeiten nicht ausreizen, sondern eher ein heiteres Gleiten durch den Fußgängerstrom bevorzugen. Es herrscht eher unbewußt doch das Gefühl, aufeinander angewiesen zu sein.

Wann stellt übrigens der erste Politiker seinen Dienstwagen in die Garage und rollerbladelt volksnah zum Parlament? Das wäre doch eine Illustration zum Sparpaket!

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