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Der Roller

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Unsere moderne Technik ist bereits gute 100 Jahre alt geworden, und gewisse Maschinen scheinen längst ihre endgültige Gestalt gefunden zu haben, denken wir etwa nur an die Eisenbahn. Umstürzende neue Formen werden sich auch kaum mehr beim Auto oder dem Fahrrad finden lassen. Wenn wir bei den motorisierten Fahrzeugen bleiben wollen, dann müssen wir gleich vom Motorrad reden, das genau in der Mitte zwischen Auto und Fahrrad steht, mit diesem hat es den Bau gemeinsam, mit jenem den Antrieb. Es ist das kleinste Fahrzeug, mit dessen Fortbewegung ' der Mensch sich nicht zu plagen braucht. Es hat nicht viel Phantasie dazugehört, sidi ein Fahrrad vorzustellen ,das durch einen Motor betrieben wird. Diese Abstammung hat sich nie verleugnen lassen. Das Motorrad bot sich in seiner Gestalt als nichts anderes als ein stärkeres Fahrrad dar.

Und siehe da, plötzlidi ist ein Gestalt- wandel eingetreten. Das Motorrad ist in seiner neuen Form als Roller kaum wiederzuerkennen. Die Räder sind winzig klein geworden, vom Motor und seinen- Apparaten und Röhrchen, die dem ilten Motorrad etwas Spinnenartiges, Insek- tenhaftes gaben, ist nichts mehr zu sehen, alles ist überkleidet wie beim Auto von einer Karosserie, die, um das Ganze noch zu humanisieren, mit einer schönen Farbe bemalt ist.

Wie rissen wir nach dem Krieg jetzt die Augen auf, als aus dem Ausland die Roller kamen. Wie einfach, wie selbstverständlich und wie schön.- Wie rissen wir aber erst die Augen auf, als wir zum erstenmal ins Ausland kamen und die Änderung des Straßenbildes durch die Roller sahen. Wie lustig etwa geht es in den Straßen von Rom oder Mailand zu, wo es von Rollern wimmelt und das alte Motorrad eine Seltenheit geworden ist.

So ein Roller hat etwas so überzeugendes, daß ein alter Buchhändler neulich, als wir auf dem Stephansplatz standen und welche vorbeifahren sahen, ganz spontan sagte: „Ich glaube, das v/äre ein Fahrzeug für mich.“ Und die Damen sind ganz versessen darauf. Das Farbige, Blumige, Kindliche zieht sie an. Wie könnte man die Farben kombinieren: grüner Roller, rotes Kleid und weißer Schal und über den Ring flitzen, das muß doch etwas Bezauberndes sein. Auf der Stiege zur Ara coeli in Rom stand eine Wiener Dame und beobachtete den Verkehr mit den drolligen bunten 'Rollern. Ich weiß nicht, wie sie es ihrem Mann beibrachte, aber neulich sah ich sie auf einem Roller durch die Alser-Straße fahren mit flatterndem Schal. Und sie lachte mir strahlend zu. Manchmal gehen Wünsche so schön in Erfüllung.

Mag man über die Wiener Roller denken wie man will, auf jeden Fall bringen sie eine wunderbare Belebung des Straßenverkehrs. Und ungefährlich sind sie auch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß durch ihn ein Mensch getötet werden kann, so viel Wucht hat ear nicht, selbst wenn er mit „Höchstgeschwindigkeit" daherbraust. Er ist froh, wenn ihn die Giganten der Straße, die LKW.s, nicht an die Wand drücken. Wenn einer in der Stadt von einem Bezirk oft in den ändern fahren muß, ist der grüne Roller ein ideales Fahrzeug. Man setzt sidi im schönen Anzug darauf und fährt los. Lieber habe ich, als ich noch auf richtigen Motorrädern fuhr, meine schönsten Hosen durch Ölflecke ruiniert, ehe ich eine zweite zum Schutz darüberzog. Nein, ich möchte nicht mehr auf einem alten Motorrad fahren.

Wer aufmerksam das Straßenbild unserer Stadt beobachtet, der hat in den letzten Monaten feststellen können, daß sich neue Elemente zeigen. Man sieht richtige italienische Roller mit Wiener Nummern in wachsender Zahl. Jedem, der in Italien war, erscheinen sie wie ein Gruß aus dem Süden. Breit und behäbig kommen sie daher und doch so flink wie die schnellen Fahrzeuge, es blinkt von Chrom, und ihre Farbe ist beige oder grün. Das Herz jedes Rollerfreundes schlägt höher, wenn er eie sieht. Sie werden unsere guten heimischen Löhner nicht verdrängen, schon weil sie selten und teuer sind, aber wir freuen uns trotzdem, daß sie da sind. Soll ich wie ein Tor zum Toren reden, wie so ein Ding läuft? Also man tritt auf den Starter und schon läuft uoieidbar irrend der Moiot,

du setzt dich bequem auf den Sitz, einige kleine Griffe an den Handhebeln und sanft trägt dich das Fahrzeug fort. Man steigert die Geschwindigkeit, und nun läuft der Roller leise surrend mit einer genügend großen Geschwindigkeit dahin.

So ein Fahrzeug hat einen doppelten Zweck: einen nützlichen und einen angenehmen. Der nützliche hängt vom Beruf ab. Die Berufskleider sind verschieden, meines ist recht umständlich, und ich könnte mit ihnen niemals auf einem Motorrad fahren, aber auf dem Roller geht es. Da wurde ich vorgestern geweckt, als es eben graute, und es hieß, die Frau liege im Sterben, und schnell müsse es sein, und alles müsse ich mitnehmen. Der gute Roller trug mich seimeli hin und so, wie ich sein mußte und mit allem, was ich brauchte, ich will nicht sagen, was es gar war, und der Weg war sehr steil, und ich kam zurecht und alles war gut. Uber dem Haus verblaßten die letzten Sterne, als ich wieder heim sollte.

Ich fahre schon bald zwei Jahrzehnte auf motorisierten Fahrzeugen, und immer habe ich nach etlichen Jahren abgeschworen. Ich empfand es bedrohlich für die Menschlichkeit, sich an den Motor zu binden, die älteste Art der Fortbewegung ist doch die größte, dachte ich, ich meine das Gehen, und ich hatte Angst, daß ich über dem Fahren nicht mehr zum Gehen käme. Es waren, wenn man so sagen will, romantische Bedanken, die natürlich etwas für sich haben, aber ich glaube, sie hängen mit der Zeit zusammen. Vor etlichen Jahren war uns die Maschine noch fragwürdiger als heute. Jetzt sehen wir ein, daß es keine Lösung ist, sie zu verachten, sondern daß wir sie richtig TU gebrauchen lernen müssen, ohne daß unsere Menschlichkeit dadurch verliert. Ich meine so, manche rasen mit ihren Autos und Maschinen wie die Narren an den Sonntagen durchs Land und kommen ärmer heim, als sie fortgefahren sind. Sie fallen der Technik zum Opfer. Sie müßten draußen absteigen und wandern und sich Zeit nehmen, in den alten Dorfkirchen schweigend zu sitzen, den Wolken nachzusehen und dabei stille Reden führen, dann wäre die Maschine ein gutes Hilfsmittel. Ich glaube, die Technik ist unser Schicksal geworden, und wir müssen darangehen, sie menschlich zu bewältigen. In der Anlage des Rollers zeigt sich vielleicht schon diese Wende der Maschine zum Menschen. Die Technik verliert das Insektenhafte, das Dämonische erscheint gebändigter.

Das Menschliche zeigt sidi am besten bei den Kindern. Sie freuen sich über die Roller, als gehörten sie zu ihrer Welt. Sie lachen und zeigen einander das Fahrzeug und nennen es beim Namen.

Andere Wesen ärgern sich über das ungewohnte Fahrzeug, und die Hunde verbellen es heftig, besonders weiter draußen, wo es neu ist. Sind es die kleinen Räder, die ihnen nicht passen, die Fahrer oder sonst etwas, ich weiß es nicht. t

Die alten eingeschworenen Motorradfahrer sind natürlich alle einig, daß sich die Roller nicht halten werden. Tausend Fehler dichten sie ihnen an und überhäufen sie mit Spott, aber das Beispiel anderer Länder zeigt, daß die Zeit der Roller erst im Anrollen ist. Technisch weiterentwickelt und vervollkommnet, werden sie wahrscheinlich das Volksfahrzeug der Zukunft sein.

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