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Der Weg allen Blechs

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Autohändler (verzückt, mit Honig in der Stimme): „Das ist kein Fahren mehr, in diesem Wagen gleiten Sie, Sie schweben, Sie vergessen, daß Sie sich noch auf der Erde fortbewegen...“

Autokäufer: „80.000 Schilling sind viel Geld!“

Autohändler (mit betonter Männlichkeit): „Und wie der Motor aufheult! Das wäre doch ein Fahrzeug für Sie. Jammerschade, sich einen Mann wie Sie in einem billigen Vehikel vorzustellen!“

Autokäufer: „Aber 80.000 Schilling sind ehr viel Geld!“

Autohändler (sachlich): „Auf Teilzahlung natürlich. Sie spüren die Raten nicht einmal.“

Autokäufer .(seine letzten Reserven zum Widerstand sammelnd): „Aber 80.000 Schilling bleiben 80.000 Schilling, und erhalten muß ich den Wagen dann auch noch!“

Autohändler (gedenkt jetzt, die letzte Hürde mit Psychologie zu nehmen): „Schön, dafür verdienen Sie darm auch mehr. Bedenken Sie doch das Prestige, das Ihnen dieser Wagen schenkt. Sie wissen doch, Prestige ist Geld. Dieser kostbare Lack! Dieses schwere Chrom! Dieser Geruch nach teurem Leder, wenn der Geschäftsfreund zu Ihnen einsteigt... oder eine schöne Frau...“

Autokäufer (hat kaum hingehört): „Wieviel, sagten Sie, kostet der kleine dort drüben?“

Der Autohändler spielt nun mit finsterer Entschlossenheit seinen letzten, geheimsten Trumpf aus. Er öffnet die wuchtige Tür des Wagens und läßt sie wieder ins Schloß fallen; es gibt einen dumpfen, massiven, imponierenden Laut: Wumm!

Autohändler (enthusiastisch): „Das klingt, was?“

Der Autokäufer schweigt verwirrt.

Autohändler (mit einem genau abgezirkelten Blick auf den billigen Wagen; das Bedauern für den armen Käufer, der sich das kostbare Gefährt nicht leisten kann, schwingt deutlich hörbar in seiner Stimme mit): „Also, dann...“

Autokäufer (legt die Hand auf das Dach des Achtzigtausenders): „Ich nehme ihn!“

Autoschlächter (mit einem Fußtritt gegen den Reifen): „Profil abgefahren. Kann man gerade noch für ein Pferdefuhrwerk verwenden.“

Der Autobesitzer schweigt.

Autoschlächter (mit einem Blick auf die Motorhaube): „Brauche ich gar nicht erst aufzumachen!“

Der Autobesitzer sieht zu wie bei einer Hinrichtung, schweigt.

Autoschlächter (schlägt gegen die Karosserie): „Schrott!“

Autobesitzer (mit Auflehnung in der Stimme): „Aber er ist doch so gepflegt!“

Autoschlächter: „Schrott!“

Autobesitzer: „Da kann sich doch einer einen neuen Motor einbauen und neue Reifen drauf-geben und...“

Autoschlächter (höhnisch): „... und eine Seilbahn draus machen, nicht wahr? Tut aber keiner. Damit fährt heute keiner mehr.“

Autobesitzer (fast bittend): „Er geht doch noch! Ich bin doch damit hergefahren!“

Autoschlächter: „Ja, eben. Sie sollten sehen, was uns alles gebracht wird - gepflegt, gerade noch fahrbereit, oft gar nicht einmal so übel. Aber so was will heute keiner mehr haben

Schrott. Ausschlachten und auf den Haufen damit! Sie selber wollen ihn doch auch nicht mehr. Schlechte Zeiten für alte Kleider und alte Autos. Ich gebe Ihnen 2000.“

Autobesitzer: „Aber er hat doch 80.000 gekostet!“

Autoschlächter: „In welchem Jahrhundert war das?“

Der Autobesitzer schweigt gekränkt.

Autoschlächter (nachsichtig): „Na ja, war halt nicht viel wert.''

Autobesitzer: „3000!“

Autoschlächter: „2100!“

Autobesitzer (gequält): „2500!“

Autoschlächter: „Also schön, ich gebe Ihnen 2150. Mein letztes Wort. Sie ruinieren mich!“

Autobesitzer: „Aber den Nebelscheinwerfer darf ich runternehmen.“

Autoschlächter: „Das auch noch!“

Zwischen dem gepflegten Verkaufsgespräch im marmorglänzenden, kristallspiegelnden Auto-geschäft und den nicht weniger bewußt abgezirkelten, nicht weniger psychologisch gesetzten Worten, mit denen der Autoverwerter dem Besitzer die letzten Illusionen über den Wert seines, Vehikels raubt, liegen manchmal x-hundert-tausend, manchmal auch eine Million Kilometer

über gute und schlechte Straßen, liegen manchmal fünfundzwanzig oder auch nur fünf Jahre.

Jedenfalls wird im Zeichen des allgemeinen und vor allem öffentlich zur Schau getragenen Wohlstandes der Weg vom Hochofen, aus dem das Material für das neue Auto kommt, zum Hochofen, in den die letzten Überreste des alten geworfen werden, immer kürzer.

Der Autoschlächter lebt allerdings nicht davon, daß er dem Hochofen Futter liefert. Da es sich nicht lohnt, Autowracks auf dem üblichen Weg zu verschrotten, werden sie in gewaltigen Pressen in Sekundenschnelle zu einem Blechpaket von der Größe eines mittleren Überseekoffers zusammengequetscht. In Österreich hat noch niemand so eine Maschine, darum werden die Autowracks einfach mittels Kränen zu großen Stößen geschichtet und liegengelassen.

Trotzdem verhungert der Autoschläch- ter nicht, und mancher fährt sogar einen funkelnagelneuen, chromblitzenden Straßenkreuzer. Er lebt von jenen Leuten, die auch heute noch in abgetragenen Kleidern gehen und in schäbigen Autos fahren. Für ihre alten Autos liefert er die fehlenden Bestandteile — und er nimmt sie aus den noch älteren, die ihm zum Ausschlachten überlassen wurden.

Auf einem einzigen Lagerplatz in der Nähe von Wien liegen heute, nach Angaben des Besitzers, fünfeinhalbtausend alte Autos. Sechs Millionen Kilogramm Alteisen, vom Verkauf der brauchbaren Teile längst bezahlt; totes Kapital, das eines Tages, wenn die große Presse da ist, plötzlich springlebendig werden könnte.

Alles ist da zu finden: Jahrgang 1912, immer wieder repariert, ein halbes Jahrhundert sorgfältig gepflegt und schweren Herzens weggegeben, und der Chevrolet 1960, der gegen einen Baum gefahren ist. Der winzige, zitronengelbe Sportwagen und der riesige Autobus. Sie brauchen eine Cadillac-Tür 1942? Ein Arbeiter turnt auf den Stoß und hebt sie aus den Angeln eines angerosteten Wracks. Den Kotflügel eines Ford-Eifel? Eine halbe Stunde Arbeit mit dem Schweißbrenner.

Und in ununterbrochenem Strom, tagaus, tagein, kommen neue, alte Automobile, werden geringschätzig angesehen, taxiert, vom Kran auf den Stoß gehoben.

Eines Tages wird jemand kommen und einen Bestandteil brauchen.

Roter Lack, gelber Lack, grüner Lack, dazwischen Rost, zerfetztes Blech, Seegras, das aus Polstern quillt, zerschlagenes Glas. Unter einer aufgerissenen Motorhaube dreht eich das Schwungrad des Ventilators. Das kann doch nicht sein? Ach so, der Wind!

Es ist höchst seltsam, daß alte, zu Haufen geschichtete Autos bei vielen Leuten eine fast menschliche Anteilnahme finden, die ruinierten Nähmaschinen, löchrigen Kübeln und Waschkesseln, alten Eisenbetten, rostigen Traversen und sonstigem Gerumpel durchaus nicht zuteil wird.

Das hat nichts mit den eigenartigen Empfindungen zu tun, die jeder kennt, der einmal die verbogenen, zusammengeschobenen Trümmer nach einem schweren Unfall am Straßenrand gesehen hat. Diese Art von Wrack ist beim Autoschlächter selten. Nein, die Autos in seiner Sammlung sind zum allergrößten Teil einfach kaputtgefahren, vom Rost und vom Zahn der Zeit zerfressen, ausgedient, mit ausgeleierten Lagern, scheppernden Karosserien, Türen, die nicht mehr schließen, Bremsen, die nicht mehr ziehen, Lenkrädern, die sich leer einmal herumdrehen lassen, mit Motoren, die oft längst nicht mehr erzeugt werden, mit durchgesessenen Polsterungen und erledigten Federn endlich weg-, geworfen worden und, obwohl in manchem Fall für Anspruchslose vielleicht noch brauchbar, auf dem großen Stoß eögültig zugrunde gegangen. Woher also jene Anteilnahme mit dem toten Blech?

Kommt sie daher, daß wir hinter jedem Autowrack doch ein menschliches Schicksal vermuten? Oder ist uns das Auto selbst zum Wesen geworden? Nennen wir es nicht Mausi oder Brummi oder Hansi, solange es fährt, und trennen wir uns nicht auch dann mit einer Träne im Knopfloch von der zuschanden gefahrenen Stinkmaschine, wenn die neue schon hinter der Ecke steht?

Der Lagerplatz des Autoschlächters ist ein Friedhof nicht der begrabenen, sondern der erfüllten Hoffnungen. Wäre das Auto nur ein Gebrauchsgegenstand — wir würden es wegwerfen, wenn es ausgedient hat, wie einen alten Kübel. Aber es ist uns mehr. Sein Chrom und sein glänzender Lack bedeuten dem Erwachsenen das gleiche wie dem Kind der Christbaumschmuck, und sein charakteristischer Innengeruch sticht dem, der noch kein Auto hat, in die Nase wie dem Schulbuben der Duft aus der Lebzelterei.

Und überdies ist das Auto dem, der ihm verfallen ist, ein unerreichbares Wesen wie die ideale Frau: Es gibt immer noch bessere. Und kaum, daß er eines hat, wünscht er sich schon ein anderes: ein schöneres, ein schnelleres, ein größeres, eines, das innen noch teurer riecht. Wer ist heute dem Auto nicht verfallen?

Es ist schon so sehr Symbol unseres Ansehens, daß uns der Autostoß beim Schlächter zum Symbol für vernichtetes, entwertetes Prestige wird. Nirgends wird die Nichtigkeit allen Chroms so deutlich. Angesichts der verbeulten, lächerlichen Gerümpelautomobile fühlt sich der Verbraucher - Mensch und Konsum — Anbeter, nade in twentieth Century, Jahrgang 1960, elbst erniedrigt. Und deshalb tut ihm der rostige Blech-November auf dem Lagerplatz in der Seele so weh.

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