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Georg Stefan Trollers Bericht von Wien 1918-1938 ist eine wenig gelungene Mischung aus persönlichen Erinnerungen und Kulturgeschichte.

Mein Wien 1918-1938" lautet der Untertitel des Buches "Das fidele Grab an der Donau" von Georg Stefan Troller. Man wird fehlgehen daraus abzuleiten, Troller habe einen Stammplatz an einem Kaffeehaustisch jener brillanten Gesellschaft gehabt, über die er berichtet. Das nicht: Als diese Gesellschaft 1938 auseinandergejagt wurde, war Troller 16 Jahre alt. Das besitzanzeigende "Mein" bezieht sich vielmehr auf eine besondere geistig-intellektuelle Nähe Trollers, er fühlt sich dieser Epoche verwandt, von ihr geprägt.

Trollers Bericht ist eine Mischung aus persönlichen Erinnerungen und der Kulturgeschichte von Jahrhundertwende und Erster Republik. Leider erzählt der Autor bei weitem mehr Kultur- denn Familiengeschichte, und das ist ungeheuer schade; denn zum Beispiel von Onkel Robert, dem Feschak und heimlichen Autor, hätte man gerne mehr erfahren.

Referierte Geschichte

Doch man bekommt Geschichte referiert, und was Troller an Anekdoten erzählt, steht schon bei Torberg, Kuh, Spiel oder Slezak, nur besser. Troller berichte "scharf und nicht ohne Polemik" heißt es im Klappentext, und zur Polemik gehört anscheinend auch, dass Troller der Literatur Vorhaltungen macht und Noten verteilt.

Generell: Die jüdischen Autoren hätten sich bitte schön doch stärker zu ihrem Judentum bekennen können. "Schnitzler verleugnet seine Juden lieber", beschwert sich Troller, Broch "übergehe skrupulös das unpoetische jüdische Textilmilieu", dem er entstamme und wenig "überzeugend die innere Einstellung solcher Kaffeehausschreiber wie Polgar, Kuh, Kisch, Friedell und anderer". Eine groteske Zumutung: Schriftstellern, denen man sich angeblich verbunden fühlt, Haltungsratschläge zu geben. Dabei sind Trollers Anwürfe wenig fundiert. Schnitzler, Herzl, Salten und andere hätten, so Troller, ihre jüdischen Familienwurzel aus der Leopoldstadt verdrängt und verleugnet.

Dass die Leopoldstadt im späten 19. Jahrhundert nicht der verruchte Dschungel war, als den ihn Troller in der Zwischenkriegszeit wahrnimmt, hätte sich Troller zum Beispiel durch die Lektüre von Schnitzlers "Jugend in Wien" erschlossen. Die Praterstraße - damals noch "Jägerzeile" -, in der Schnitzler auf die Welt kam, galt als eine der prächtigsten und modernsten Avenuen Wiens. Felix Salten schrieb übrigens ein ganzes Buch über den Prater, Veza Canetti den umwerfenden Roman über "Die Gelbe Straße" in der Leopoldstadt. Und Alfred Polgar erinnerte sich in einem Feuilleton an Zirkus- und Schrotgießergasse seiner Jugend, wo "es kein Fenster ohne Frau an diesem" gab und Tag und Nacht das Sirenenlied erklang, "das, ungleich den Sirenen, nicht veraltet ..."

Troller kümmert sich wenig um Details. Da berichtet er von einem "ausgepicht-hinterhältigen Brief", den Rilke der böhmischen Adeligen Sidonie von Nádherny geschrieben habe, sie vor Karl Kraus warnend. Rilkes Formulierungen von der "feinen Fremdheit" und dem "Geruch anderer Gattung", auf Karl Kraus gemünzt, ein Antisemitismus? Die Anklage ist nicht neu: Der Brief Rilkes stammt vom 21. Februar 1914 und der Vorwurf von Marcel Reich-Ranicki, publiziert 1980 in "Nachprüfung". 1987 hat Joachim W. Storck in einer sorgfältigen Darstellung der Beziehungen zwischen Rilke und Kraus den überzeugenden Nachweis geliefert, dass Rilkes Brief "nicht ein Dokument von Rilkes Antisemitismus' sei, wie bisher behauptet worden ist" (Sigurd Paul Scheichl). Nichts von alledem bei Troller. Der hat aus dem brisanten Vorwurf eine Tratscherei gemacht.

Fragwürdige Urteile

Andere Urteile sind schlicht dumm; so hat der Secessionist Carl Otto Czeschka (1878-1960) die Nibelungen zum Thema gewählt und die trutzigen Recken in die Ornamentik der Wiener Werkstätte hineingetrieben. Dafür nennt ihn Troller "den deutschtümelndsten aller Zeichner". Manches andere ist schlicht falsch abgeschrieben: Der arme junge Mann, der sich auf Anraten Peter Altenbergs erschoss, hieß Heinz Lang, nicht Hans Lang. Und Alma Mahler-Werfel hat sich auf der Hohen Warte keine Villa gebaut, sondern die Villa Ast gekauft.

In ihrem Werk über Jahrhundertwende und die Erste Republik "Glanz und Untergang" durchwanderte Hilde Spiel die kulturpolitische Landschaft leichtfüßig, auf interessante Aus- und Durchblicke weisend, den Gegenständen ihrer Schilderung in unauffälliger Sympathie zugetan. Mit der Essayistik Hilde Spiels, mit ihrer Bildung und ihrer Sprache, darf man Trollers Buch nicht vergleichen.

Das fidele Grab an der Donau

Mein Wien 1918-1938

Von Georg Stefan Troller,

Artemis & Winkler Verlag,

Düsseldorf 2004

299 Seiten, mit Abb., e 25,60

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