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Höhenflug vor dem Absturz

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Das Pariser ZDF-Büro befindet sich bezeichnenderweise in der noblen rue Goethe, zwischen Seine und Are de Triomphe. Es ist auch das Büro von Stefan Georg Troller. Seit 1971 ist der gebürtige Wiener Sonderkorrespondent des deutschen Senders in Paris und Gestalter der Personality-Reihe „Personenbeschreibung", der Nachfolgesendung des inzwischen legendären Magazins „Pariser Journal", in dem er zynisch und passioniert über „sein wildes, lebendiges Paris" berichtete. Sein Arbeitszimmer beherbergt eine beeindruckende Kollektion der renommiertesten Fernsehpreise -auch die „Goldene Kamera" ist darunter.

Man sieht Troller seine siebzig Jahre nicht an: Jugendlich glattes Gesicht, ausgefallene, weiße Barttracht, spiegelnd schwarze Haare und der unvermeidliche Seidenschal statt einer Krawatte. Überraschend und verwunderlich: sein prononciert deutscher Akzent.

In Österreich wurde Stefan Georg Troller vor allem durch die Emigran-ten-Trilogie „Wohin und zurück" bekannt, zu der er nach seiner eigenen Lebensgeschichte das Drehbuch schrieb. Regisseur Axel Corti habe mitgeholfen „zu verknappen, zu verkürzen und mundgerecht zu machen", erzählt Troller. Die beiden trafen sich zu Endlosgesprächen in Trollers „Landhäuschen in der Normandie -ohne Frauen".

Insbesondere der dritte Teil der Trilogie „Welcome in Vienna" erzielte einen respektablen Erfolg. In Paris lief der Film achtzehn Monate im Kino und brachte Corti in Cannes den internationalen Durchbruch.

Der Erfolg des Films gab dann den Anstoß für die Autobiographie „Selbstbeschreibung", die 1988 erschien. Troller fand nun „den Mut, das Buch zu schreiben", das er „schon Jahre in sich trug". Ganze Jahrgänge der deutschen Emigrantenzeitung „Aufbau" habe er durchgeackert, um „Farbe und Authentizität" zu gewinnen. Heimat- und Identitätssuche waren das beherrschende Thema seiner Exiljahre: „Identität ist ja eng ver-. bunden mit dem Land, der Religion, der Zugehörigkeit". Und Identität sei eine psychische Notwendigkeit.

Abwehr und Ressentiments

Im Jahr 1921 in Wien als Sohn eines gutbürgerlichen Pelzhändlers geboren, mußte er als siebzehnjähriger Gymnasiast 1938 Österreich verlassen. Über Prag und Frankreich gelang ihm die Flucht vor den Nationalsozialisten in die USA. Ab 1943 nahm er als US-Soldat am Zweiten Weltkrieg teil.

1945 war er nach sieben langen Jahren als Gl wieder im zerbombten Wien. „Ich ließ mich durch die Straßen treiben, als bestünde ich allein aus Innenleben", erinnert er sich in seiner „Selbstbeschreibung". „Aber wenn diese sieben Jahre überhaupt einen Sinn haben sollten, so war es doch die Verzückung dieses Augenblicks. Zwanghaft mußte ich alles wiederfinden, was ich seinerzeit gekannt und was mich bestimmt hatte... Ich wanderte eine Nacht und einen Tag im Schneeregen durch die Straßen. Es war die Wiederentdeckung, daß ich noch etwas fühlen konnte. Es war Genugtuung. Es war Höhenflug vor dem unvermeidlichen Absturz."

In der magischen Stadt seiner Kindheit versuchte er wieder Fuß zu fassen -vergeblich. Im Nachkriegsösterreich stieß er nur auf Ignoranz und verhaltene Ressentiments; niemand schien auf die Anwesenheit des jungen jüdischen Intellektuellen Wert zu legen. Allein seine Gegenwart schien Abwehr und uneingestandene Schuldgefühle auszulösen. Diese vergebliche und verzweifelte Suche nach Zugehörigkeit gehört zu den berührendsten Passagen der Autobiographie.

Der Bruch war nicht mehr zu kitten. Es war ein langer, schmerzlicher Erkenntnisprozeß. Troller, der in den Jahren seines Exils die Tage bis zu seiner Rückkehr gezählt hatte, der in französischen Internierungslagern zwanghaft „Sprachlisten gegen den Alptraum des drohenden Sprachverlustes" angelegt hatte, entschloß sich zur Rückkehr in die USA. Entschloß sich, die Widersprüche zweier Zugehörigkeiten, zweier Kulturen zu leben.

Es war nicht nur ein Abschied von der alten Heimat, sondern auch ein endgültiger Abschied von seiner Kindheit und Jugend. „Man muß hinauswachsen über diese Dinge", sagt der siebzigjährige Troller heute, „bis zu dem Punkt, wo man seine Herkunft nur mehr als Wurzeln sieht, aber sich selber als Baum."

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