Viele Schichten: "Die Fundsache" von Shaun Tan
"Die Fundsache" von Shaun Tan, unser Lektorix des Monats.
"Die Fundsache" von Shaun Tan, unser Lektorix des Monats.
„DIESES Buch dient als Einführung für Studenten, die sich auf die ersten Prüfungen im Fach Heizgeräte und angewandte Thermo-“ dieser Textausschnitt ist nur einer von vielen, die sich auf dem Innentitel dieses durch und durch ungewöhnlichen Bilderbuchs finden. Da gibt es auch noch Stempel, Landkarten, Temperaturkurven und andere Skurrilitäten – die einen kleinen Vorgeschmack geben auf die Geschichte, die von einem ebenso skurrilen Männchen mit länglichem Kopf erzählt wird. Eigentlich beschäftigt mit seiner Kronkorkensammlung (die auf Vor- und Nachsatzpapier prominent platziert wird), sieht er „das Ding“ zum ersten Mal – ein riesiges rotes, ein wenig an eine überdimensionale Teekanne erinnerndes Wesen. Es ist allein – und so nimmt er das Wesen mit sich. Auf rätselhafte Weise kann er es zu einem Ort bringen, an dem es sich offensichtlich zu Hause fühlt, ein an die Bildwelten von Hieronymus Bosch oder Salvador Dalì erinnerndes Zauberreich, bevölkert von anderen seltsamen Wesen. „Tja, das war’s. Das war die Geschichte.“
Rätselhaftes Ding
Ein namenloser Ich-Erzähler berichtet in mündlichem Erzählgestus eine Geschichte, die eigentlich keine ist, von einem Ding, von dem niemand weiß, was es ist. So ungewöhnlich wie die Handlung ist auch die formale Gestaltung: Seine surrealen Bilder setzt Shaun Tan auf unterschiedlich getönte Textcollagen, die die jeweilige Stimmung unterstreichen, der Text wiederum ist in Handschrift (für das Lettering zeichnet Dirk Rehm verantwortlich) auf kleine Ausschnitte aus liniertem Papier geschrieben. Das „Ding“ selbst erhält viel Bildraum und wirkt durch sein leuchtendes Rot noch exotischer.
Der australische Künstler Shaun Tan war im vergangenen Jahr verdientermaßen mit zwei Werken für den deutschen Jugendliteraturpreis nominiert – mit diesem neuesten ins Deutsche übersetzte Werk, international bereits mehrfach preisgekrönt, beweist er einmal mehr seine Souveränität in unterschiedlichsten Genres: Ob in Kurzgeschichten wie in „Geschichten aus der Vorstadt des Universums“, gänzlich textlos in der Graphic Novel „Ein neues Land“ oder wie hier im Bilderbuch geht er, narrativ wie formal, bislang wenig beschrittene Wege. Dieser Vielschichtigkeit tragen auch die medialen Umsetzungen seiner Werke Rechnung: „Die Fundsache“ wurde bereits im Theater multimedial inszeniert, eine Verfilmung soll im Mai 2010 erscheinen. Shaun Tans Bücher entziehen sich unmittelbarer Zugänglichkeit und werfen beim ersten Betrachten eine Vielzahl an Fragen auf – denen nachzugehen in weiteren Schritten umso lohnender ist.
Die Fundsache
Von Shaun Tan
Aus dem Engl. von Eike Schönfeld
Carlsen 2009
32 S., geb.,
E 17,40