Vom Schicksal der Wolfskinder

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P. J. Blumenthal ist den bei Tieren aufgewachsenen Menschen auf der Spur.

Aufgewachsen unter Tieren - ob nur geduldet oder tatsächlich von diesen gepflegt - oder ohne menschliche Gesellschaft: die so genannten Wolfskinder und ihre Sprachlosigkeit, ihr Verhalten, ihre oft erstaunlichen körperlichen Fähigkeiten aber auch geistigen Mängel haben schon früh das wissenschaftliche Interesse geweckt, nicht immer zu ihrem eigenen Wohlergehen. P. J. Blumenthal versucht in seinem Buch eine Bestandsaufnahme und kritische Würdigung der dokumentierten Fälle bis herauf in die Gegenwart. Das Schicksal dieser Menschen wird spannend, vor allem aber kritisch dargestellt und hinterfragt.

Viele der spektakulären Fälle "wilder Menschen" im Zeitabstand von Jahrhunderten lassen sich sehr schwer recherchieren, und die Grenze zwischen Verwilderung auf Grund sozialer Vernachlässigung, krankhafter Erscheinungen wie Autismus, Debilität oder anderer Geisteskrankheiten ist schwimmend, wodurch eine endgültige Würdigung der Schicksale schwer möglich ist.

Ist der Mensch das Ergebnis der Natur oder der Einflüsse seiner sozialen Umwelt? Diese und viele weitere Fragen drängen sich bei der Beschäftigung mit dem Thema der "wilden Menschen" auf. Spektakuläre Beispiele sozialer Vernachlässigung in der "zivilisierten" Welt werden den historischen Beispielen wie Kaspar Hauser gegenübergestellt. Bemerkenswert ist die Häufung der Wolfskinder in Indien, was zur Vorlage dieses Stoffes für Mowglis Dschungelbuch führte. Wie viele dieser Wolfskinder tatsächlich im Dschungel von Wölfen aufgezogen wurden, bleibt zweifelhaft, bei vielen gelingt es dem Autor den Nachweis zu erbringen, dass es sich schlichtweg um vernachlässigte oder geistig behinderte Kinder gehandelt hat, die den leichtgläubigen Engländern als "Kuriositäten" präsentiert und untergejubelt wurden. Es bleiben aber noch immer sehr viele glaubwürdige Darstellungen von verschwundenen Kindern, die unter wilden Tieren eine Zeit lang gelebt haben und deren Rückführung in die Gemeinschaft mehr oder weniger schwierig war.

Was das Buch lesenswert macht, ist der Versuch einer distanzierten Recherche, soweit dies nach so langer Zeit überhaupt möglich ist, ohne jede Sensationslust. Vor allem die Frage inwieweit der Mensch in der Lage ist, eine Sprache ohne andere Menschen zu erlernen, wird an fast allen dokumentierten Fällen erörtert, mit dem Ergebnis, dass nach der Pubertät ein Erlernen einer menschlichen Sprache sehr schwer bis gar nicht mehr möglich ist, hingegen Kinder, die als Kleinkinder menschlichen Kontakt hatten, auch nach Jahren in der Wildnis wieder in der Lage waren, sich sprachlich zu entwickeln.

Kaspar Hausers Geschwister

Auf der Suche nach dem wilden Menschen

Von P.J. Blumenthal

Deuticke Verlag, Wien 2003

328 Seiten,geb., e 24,90

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