Turin - © Foto: Pixabay

Wie einer zum politischen Kopf wird

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"Der Genosse" von Cesare Pavese

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"Der Genosse" von Cesare Pavese

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Das Leben fiel ihm nicht leicht. Schwer fand Cesare Pavese Anschluss an Menschen, die Einsamkeit setzte ihm zu. Eine Ausnahme bildete die Bekanntschaft mit Leone und Natalia Ginzburg. In „Das Handwerk des Lebens“ notierte er: „Ich verbrachte den Abend vor dem Spiegel sitzend, um mir Gesellschaft zu leisten.“ Im Alter von nur 42 Jahren beging er 1950 in Turin Selbstmord. Er wurde vom Landleben im Piemont geprägt und kommt in seiner Literatur stets darauf zurück. Es wird ihm zu einem Ideal, das er mythisch überhöht. An Erfolg mangelte es Pavese nicht. Er wurde mit Preisen bedacht, als Intellektueller war er geachtet und ab 1938 arbeitete er im renommierten Verlag Einaudi, dessen Leitung im Turiner Zweig er später übernahm. Geprägt war er von amerikanischer Literatur, einige wichtige Autoren wie Melville oder Faulkner übersetzte er ins Italienische.

Wir kennen ihn vor allem als einen politischen Schriftsteller, dessen Romane und Erzählungen von den Verwerfungen des italienischen Alltags unter den einfachen Leuten berichten, wenn die Geschichte gerade wieder einmal dabei ist, ihren Kurs radikal zu ändern. Pablo aus dem Roman „Der Genosse“ macht eine Entwicklung durch, als er von Turin nach Rom übersiedelt und dort mit dem Widerstand gegen das faschistische Mussolini-Regime in Berührung gerät. 1947 erschien das Buch in Italien, zwei Jahre zuvor war Pavese der Kommunistischen Partei beigetreten. Dieser Roman musste geschrieben werden.

Literatur als Wiedergutmachung

Pavese bedauerte, dass er sich nicht ausreichend im Kampf gegen den Faschismus engagiert habe. Er übersetzte und verbreitete zwar die verpönten Amerikaner, sein Leben aber riskierte er nie. Das Buch ist als eine Art Wiedergutmachung gedacht. Pablo ist einer, der alles leicht nimmt und sich für Politik nicht interessiert. Das wird anders, sobald er von Turin nach Rom kommt. So funktioniert ein politischer Entwicklungsroman. Pablo muss lernen, über den eigenen Schatten zu springen. Er verkörpert den Individualisten, der allmählich versteht, sich für eine weit größere Sache, die die ganze Gesellschaft betrifft, zu begeistern. Er ergreift Partei.

Pablo schafft das, was dem Verfasser selbst nie recht gelingen mochte. Er dient einer Sache, gibt sich ihr vollkommen hin, während für Pavese, den Skeptiker, die absolute Hingabe an Ideen nicht möglich war. Deshalb faszinierte ihn die moderne Literatur, weil sie keine fertigen, abgeschlossenen Weltbilder bereithielt. Ein Grund, weshalb der erste Teil des Romans so viel aufregender wirkt als das folgende Lehrstück von der politischen Bewusstwerdung.

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