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Ein Buch über das Verschwinden "in beliebiger Weise".

Silvia Bovenschen, die mit ihren Büchern von den "Listen der Mode" bis zur "Über-Empfindlichkeit" das intellektuelle Publikum erfreute, hat nach ihrem letzten Buch "Älter werden" erneut einen Prosaband vorgelegt.

"Verschwunden" ist eine Ansammlung von Dialogen, Monologen, Tagebucheintragungen, Skizzen, kurzen und allerkürzesten Erzählungen, die allesamt eines gemeinsam haben: das Thema Verschwinden, gesammelt und redigiert von einer fiktiven, an den Rollstuhl gefesselten "Autorin", die zugleich als "Herausgeberin" fungiert. Die Figuren sind Freundinnen und Bekannte der Autorin, Intellektuelle, gutbürgerliche, klassisch gebildete Frauen zumeist, die Selbsterlebtes oder Gehörtes von verschwundenen Menschen und verschwundenen Gegenständen erzählen. Viele dieser Geschichten haben ein offenes Ende.

Alle Geschichten-Lieferanten mussten ein Formular unterschreiben, worin sie bestätigten, dass sie der Autorin Daniela Listmann eine Geschichte schenken, auf deren Urheberschaft sie verzichten. Solcherart sieht sich der Leser auf den ersten zwei Seiten in eine Situation versetzt, der er mit erwartungsvollem Misstrauen begegnet: Eine fiktive Autorin mit dem allzu sprechenden Namen Listmann verwickelt ihn in ein perfektes Spiel. Stellenweise entsteht der Eindruck, dieses Buch sei für Literaturtheoretiker und Rezensenten geschrieben. Denn Bovenschen ist so intelligent, alle Eventualitäten, die der Literaturkritik auffallen könnten, in den Text aufzunehmen, und die Reaktionsmöglichkeiten auf die Lektüre gleich mitzureflektieren. Sie ist dem Leser immer einen Schritt voraus - und lässt ihn das ständig wissen.

Netzwerkartig verbunden

Bovenschen erzählt und zeigt zugleich, dass sie erzählt. Die Geschichten vom Verschwinden sind netzwerkartig miteinander verbunden: Eine Kindheitserinnerung der einen Erzählerin wird von einem Traum einer anderen aufgegriffen und von der kommentierenden Erzählinstanz selbst noch einmal einer Betrachtung unterzogen.

So entstand ein kluges Buch, in dem "vom Verschwinden (…) in beliebiger Weise die Rede" ist: vom Verschwinden der Kultur des Geschichtenerzählens, und auch der Kultur selbst. Europa, nimmt Frederike den Gedanken eines Trendforschers auf, sei ein Museum. "Wir sind die Figuren in diesem Museum, Leute wie wir: die letzten authentischen Bewohner. Wie die Tiere im Zoo, die eine verschwundene Art vorzeigen." "Verschwunden" kulminiert in einer Feier dessen, was "guter Stil" genannt worden ist. Bildgewaltig, poetisch, intelligent.

Dieser Prosaband ist ein Spiel mit Erwartungen, die man beim Leser provozieren und dann entweder einlösen oder verweigern kann. Bovenschen manipuliert den Leser wie eine Krimiautorin, versagt ihm jedoch die Befriedigung einer "Lösung". Es ist eine mit Kalkül geschriebene Prosa, der letztlich doch etwas fehlt: die Möglichkeit, von etwas überrascht zu werden, das nicht der planende Verstand produziert hat.

VERSCHWUNDEN

Von Silvia Bovenschen

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2008

166 Seiten, geb., € 18,40

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