Auf offener See mit Joseph Conrad

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„Der Niemand von der ,Narcissus‘“: Joseph Conrads dritter Roman, erschienen erstmals 1897, liegt nun in einer hervorragenden neuen Übersetzung vor.

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„Der Niemand von der ,Narcissus‘“: Joseph Conrads dritter Roman, erschienen erstmals 1897, liegt nun in einer hervorragenden neuen Übersetzung vor.

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Mit dem Titel beginnen die Schwierigkeiten. „Der Nigger von der ,Narcissus‘“ sollte Joseph Conrads dritter Roman, erschienen erstmals 1897, nach dessen Vorstellung heißen. Dennoch wurde er in den USA unter dem Titel „The Children of the Sea“ veröffentlicht, nicht aus Gründen des Respekts, sondern aus markttechnischen Überlegungen. Literatur über Schwarze ließ sich schwer verkaufen. Die erste deutsche Übersetzung von 1913 führte tatsächlich das heute so verpönte Wort im Titel, noch 1977 gab es dagegen keine Einwände. Eine Ausgabe von 1994 im Haffmans Verlag hieß „Der Bimbo von der ,Narcissus‘“.

Mirko Bonné tauschte in der Neuübersetzung politisch korrekt „Nigger“ gegen den unverfänglichen Begriff „Niemand“ aus. Geschichtsvergessen agierte der holländische Verlag WordBridge Publishing mit der Variante: „The N-Word of the Narcissus“. Er griff auch radikal in den Text selbst ein, indem Flüche der Seeleute durch „funny symbols“ ersetzt wurden: „*&%$#!“ So kann man einen Klassiker ruinieren. So weit geht Mirko Bonné, dem das Verdienst einer ausgezeichneten Übertragung ins Deutsche samt nützlichen Kommentaren zukommt, nicht. Ihm ist zu verdanken, dass deutschsprachige Leser tatsächlich bedeutende Literatur in die Hand bekommen.

Joseph Conrad kannte zwei Leidenschaften, das Meer und die Literatur. Dieses Buch führt uns nahe heran an das Leben einer Zwangsgemeinschaft auf See in einer Ausnahmesituation. Ein schwarzer Matrose, an Tuberkulose erkrankt, wird isoliert, was schon dramatisch genug wäre. Das Schiff gerät auch noch in einen Sturm, sodass es auf die Seite kippt und ein Großteil der Verpflegung über Bord geht. Eine Meuterei gegen den Kapitän, dem vorgeworfen wird, falsche Entscheidungen getroffen zu haben, bricht auch noch aus. Im Mittelpunkt aber steht der Farbige, ein geheimnisvoller Charakter, aus dem niemand recht schlau wird. Die Mannschaft misstraut ihm, der sein eigenes Spiel durchzuziehen scheint. Er gehört nicht richtig dazu, Conrad stattet ihn, ungewöhnlich für seine Zeit, mit sehr positiven Eigenschaften aus. Dass er sich selbst als Niemand einschätzt, ist unter rauen Männern leicht einsehbar.

Zur Eigenart der Joseph Conradschen Literatur zählt, dass sie handlungsgesättigt von abenteuerlichen Vorgängen erzählt, damit aber nicht das Auslangen findet. Viel wichtiger ist ihm, was sich an Konflikten der Seele ergibt und wie sich die Abgründe, die sich im Einzelnen auftun, auf die Gesellschaft, in diesem Fall die überschaubare Besatzung, auswirken. Die Erzählung gehört zum Frühwerk und gilt als eine seiner herausragenden.

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