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Biographie eines großen Europäers

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Es ist heilsam, sich „großer Europäer“ zu erinnern zu einer Zeit, die damit allzu freigebig Männer bezeichnet, deren Verdienste manchmal in nichts anderem bestanden hatten, als kurzlebige Kabinette geleitet oder verheißungsvolle Europapläne zu Papier gebracht zu haben. Darum war das Erscheinen einer Fritjof-Nansen-Biographie eine lobenswerte Verlegertat.

Es ist seit alters her der Vorrang und das Wesen der Starken, daß sie die großen Entscheidungsfragen stellen und zu ihnen klar Stellung nehmen können. Die Schwachen müssen sich immer zwischen Alternativen entscheiden, die nicht die ihren sind. Nansen war ein Starker. Ob in Nacht und Eis, ob als Sprecher für die Unabhängigkeit Norwegens, ob als Völkerbunddelegierter — immer nahm dieser kühne Mann eindeutig Stellung. Hell leuchtet daher das Beispiel seines tatenfrohen Schaffens, seine tiefinnere Treue zu sich selbst wie zu seinem Werk, das den Kriegsgefangenen, den Hungernden, den Flüchtlingen gewidmet war, in eine Zeit hinein, die mehr und mehr vom Mittelmaß her bestimmt wird und allenthalben die Linie des geringsten Widerstandes sucht. Abenteuerlust und Hilfsbereitschaft, ja, das sind die beiden Worte, die sein reiches Leben am besten zusammenfassen könnten. Nansen hatte den Weg zum Nächsten im brüderlichen Du gefunden, der heutzutage scheinbar nur noch durch die

Vermittlungshilfe mächtiger Organisationen möglich ist. Allein die Welt, an die er immer wieder mahnend appellierte, hatte sein Wort „von der Kette der Brüderlichkeit, die die Welt umgürten soll“, nicht verstanden. Noch einmal wiederholte sich die Tragödie flüchtender, hungernder Menschen. Diesmal in einem Ausmaß, an das selbst' der leidgewohnte Nansen nicht zu denken gewagt hätte.

Die mit dem Albert-Schweitzer-Buchpreis 1956 gekrönte, reich bebilderte Biographie Walter Bauers ist glänzend geschrieben und erhebt sich stellenweise zu dichterischer Ausdruckskraft. Gewiß, dieses Wikingerleben hatte schon beachtlichen literarischen Niederschlag gefunden. Bereits 1894 erschien das Werk von Brögger und Rolfsen. Enzberg, der es ins Deutsche übersetzte, erreichte mit seinem „Nansens Erfolge“ 15 Auflagen. Weite Verbreitung fanden vor allem die Polarreisen durch Sven Hedins Schilderungen „Von Pol zu Pol“, indes liegt doch der besondere Wert des vorliegenden Buches darin, daß Nansen nicht nur als Forscher, Ozeanograph und Zoologe gewürdigt wird, was vorzugsweise in den älteren Werken der Fall ist, sondern als Träger einer historischen Aufgabe. Er war einer der Baumeister der Menschheit. Deshalb steht er in der Reihe mit Henry Dunant und George Marshall, den „Nachlaßverwaltern blutiger Kriege“ und wirklich „großen“ Menschen.

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