Tiefe - © Foto: Pixabay

Botschaften aus der Tiefe der Existenz

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Über Mirko Bonnés Übersetzung von Oscar Wildes Weltliteratur.

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Über Mirko Bonnés Übersetzung von Oscar Wildes Weltliteratur.

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Als Oscar Wilde im Juli 1897 „Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading“ schrieb, war er ein gebrochener Mann. Zwei Jahre zuvor war er wegen homosexueller „Unzucht“ zu zwei Jahren Zuchthaus mit schwerer Zwangsarbeit verhaftet worden. Aus dem erfolgreichen, umschwärmten Schriftsteller, der die Theaterszene in London beherrschte und in den höchsten Kreisen verkehrte, aus dem Dandy und Ästheten war ein verachteter Sträfling geworden, von dem sich nahezu alle, die sich gerade noch seiner Freundschaft gerühmt hatten, mit Abscheu abwendeten. Nach seiner Entlassung ging Wilde umgehend nach Paris, wo er im November 1900 im Alter von 46 Jahren verstarb.

Die Ballade war seine letzte schriftstellerische Arbeit. Sie erschien vorerst anonym, als Hinweis auf die Autorschaft wurde seine Häftlingsnummer C.3.3. auf dem Umschlag abgedruckt. Erst die siebte Auflage – das kleine Buch stieß auf enormes Interesse – führte den Namen des Verfassers an. Diese Arbeit war ihm nicht nur deshalb wichtig, weil er damit eigene Erfahrungen literarisch aufarbeiten und auf die katastrophalen Zustände im berüchtigten Zuchthaus hinweisen, sondern auch den Fall des Kavalleristen Charles Thomas Woolridge öffentlich machen konnte. Der befand sich zur gleichen Zeit wie Wilde in Reading in Haft und wurde dort wegen Mordes an seiner Frau hingerichtet.

Ein düsterer Text, den Umständen entsprechend. Dennoch hatte man Wilde den Hang zu Spott und Ironie nicht vollkommen auszutreiben vermocht. Als ihm vorgeworfen wurde, dem Kavalleristenrock die Farbe rot angedichtet zu haben, wo er doch blau sei, entgegnete er, die Verse könnten ja nicht wie folgt aussehen: „Er trug nicht mehr den blauen Rock, / Denn Blut und Wein sind blau.“

Die Ballade macht nur den geringsten Teil des Bandes aus, im Mittelpunkt stehen Briefe des Häftlings und des nach Paris Emigrierten. Kernstück ist der umfangreiche „De Profundis“ betitelte Brief an seinen früheren Liebhaber Lord Alfred Douglas. Dessen Vater, Marquess von Queensberry, hatte Oscar Wilde verleumdet, sodass der sich gerichtlich zur Wehr setzte, was sich letztlich gegen ihn selbst wendete. Verurteilt wurde Wilde nicht wegen des Verhältnisses zu einem Lord, sondern zu Burschen von niedrigem Stand. Dass der Brief an den Verschonten nicht ohne Zorn formuliert ist, lässt sich gut verstehen. Ein Liebesbrief als Abrechnung, hart und ungerecht, und eine Selbstbestimmung aus dem Geist des Leidens und als Geschichte der Läuterung: Das alles ist diese imposante Werk, das locker neben den Dramen Wildes und dem Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ besteht. Die von Mirko Bonné besorgte Ausgabe ist ein Glücksfall an Übersetzungskunst und editorischer Genauigkeit.

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