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Casus belli?

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Ein bekannter Wiener Dirigent war — vermutlich durch eine Agentur oder den Manager eines Orchesters — eingeladen worden, in Chikago einige Konzerte zu dirigieren. Als er mit dem Flugzeug drüben landete, wurde ihm — zu seinem nicht geringen Erstaunen — die Weiterreise verwehrt. Der Wiener Dirigent wurde in das Anhaltelager auf Ellis Island gebracht, wo man ihm nahelegte, nach Europa zurückzukehren, über die Gründe der Anhaltung .wurde Prof. Krips nichts mitgeteilt. Auch die amerikanischen Zeitungen, die sich inzwischen mit dem „Fall“ beschäftigt haben, kennen sie nicht. Ein „brauner Punkt“ kommt nicht in Betracht, da Krips während der NS-Zeit aus rassischen Gründen Auftrittsverbot hatte. Die Vermutung von Krips, daß eine Konzertreise nach Moskau und Leningrad im Jahre 1947 hiefür der Grund gewesen sei, dürfte in die richtige Richtung zielen.

Man kann sich das Erstaunen, das Befremden und den Ärger des Betroffenen vorstellen, und auch die Öffentlichkeit ist betroffen. Vor allem darüber, daß der Dirigent Krips durch Vermittlung der hiesigen amerikanischen Gesandtschalt innerhalb von 24 Stunden, das Einreisevisum für die USA erhielt, dort angekommen aber den beschriebenen Unannehmlichkeiten ausgesetzt war. Woraus man ersieht, daß auch anderwärts die Rechte nicht weiß, was die Linke tut. — Man ist aber auch überrascht, daß im Lande der kulturellen Freiheit ein Gastspiel im Land des ehemaligen Verbündeten genügt, um einen Künstler politisch abzustempeln und auf diese Weise zu behandeln; — Soweit fühlen wir mit dem Wiener Dirigenten und begreifen auch, daß er sich in bewegten Worten bei den Korrespondenten verschiedener Presseagenturen beklagt. Doch scheint der gekränkte Künstler ein wenig das Augenmaß für die Wichtigkeit seines „Falles“ verloren zu haben. Bereits seine erste Mitteilung einem Reuter-Korrespondenten gegenüber überraschte durch die bedenkenlose Hereinziehung des österreichischen Bundeskanzlers in eine völlig ungeklärte Affäre. („Ich wurde in die UdSSR auf Weisung unseres Bundeskanzlers Dr. Figl gesandt. Ich glaube, wenn Präsident Truman irgend jemand irgendwohin schickt, daß er auch gehen würde.“) Einige Tage später, nach seiner Rückkehr nach Salzburg, wo Krips bei den Festspielen zu dirigieren hat, erklärte er — nunmehr der Österreichischen

Presseagentur —, daß er sich „nach reiflicher Überlegung“ entschlossen habe, an den Präsidenten der Vereinigten Staaten einen Appell zu richten, weil ihm seine Erlebnisse in Amerika weit über seinen Fall hinaus von Bedeutung erscheinen. — Aber dies gerade können wir nicht finden, und es geht entschieden zu weit, wenn der Wiener Dirigent den österreichischen Bundeskanzler um Unterstützung seines Appells an den amerikanischen Präsidenten anruft. Man kann sich vorstellen, daß die „Affäre Krips“ Wasser auf die Mühle unserer Linksblätter ist, deren eines über den Appell von Krips unter der Schlagzeile berichtet: „Krips verlangt Genugtuung von Truman.“ Womit das Groteske der Situation wohl treffend ausgedrückt ist. Wir wünschten uns jedenfalls, daß ein etwaiger Notenwechsel zwischen der österreichischen und der amerikanischen Regierung ernsteren, Vielleicht auch erfreulicheren Anlässen vorbehalten bleiben möge als einer verhinderten Dirigententournee.

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