7129002-1997_17_09.jpg
Digital In Arbeit

Das Gwirks mit der Volksfrömmigkeit

Werbung
Werbung
Werbung

Die großen Gestalten haben schon immer eine Art Haßliebe zum Volk, zu ihren „Ge-volksleuten" gehabt. Ja, wer keine Anhänger hat, kann nichts bewirken, aber wer Anhänger hat, oft genug auch nicht, eben weil er gerade diese Anhänger hat. Oder hat jeder die Anhänger, die er verdient? Nietzsche hat bekanntlich kommentiert: „Du willst dich verzehn-, verhun-dert-, vertausendfachen? Suche Nullen!" Und Egon Friedeil hat den Kirchen ins Stammbuch geschrieben: „Religion ist niemals eine Sache der Gemeinsamkeit und Gemeinschaft. Man kann in Massen fressen, saufen, politisieren und Menschen umbringen, aber man kann nicht in Massen Gott verehren, sowenig wie man in Massen lieben kann." - Geschichtsschreibung bestätigt das elitäre Selbstverständnis aller Weltanschauungsgruppen. Kirchengeschichte erzählt, was Heilige und Reformatoren geglaubt haben; Literaturgeschichte, was die Gebildeten gelesen haben; Weltgeschichte, was die Machtinhaber getan haben Aber wen interessiert schon, was das „Volk" geglaubt, gelesen, gelitten hat. Aber von kirchlichen und politischen Propheten und Priestern verachtet, hat das „Volk" nicht nur heute zu einer fürchterlichen Waffe gegriffen, dem Opportunismus. Früher einmal konnten sich Kirchen, Parteien, Zeitungen und Fußballvereine auf treue Anhänger stützen. Aber der Gefolgsmann ist tot - es lebe der Wechselwähler, der „Wechselgläubige".

Laut Katechismus der Soziologen ist diese „Glaubensmobilität" ein Zeichen von Emanzipation. Und sie hat das politische und religiöse Leben so spannend gemacht wie noch nie. Jeden Tag kann der weltanschauliche Gegner mit einem neuen Schmäh daherkommen, um einem Anhänger, Wähler abspenstig zu machen. Volksverdummung ist sauteuer, aber sie wirkt! Doch die professionellen Verführer unter den Volksverächtern wissen, wie man Haibund Ungebildete faszinieren muß. Hätte es im 16. Jahrhundert ein wehrhaftes evangelisches Christentum gegeben, dann wäre Österreich heute ein evangelisches Land! Auch Grotesken sind erfolgsverdächtig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung