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Der Weg zum Menschen

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Die lettische Dichterin und Literaturhistorikerin. Zenta Maurina, die jetzt in Schweden im Exil lebt, gehört, wie auch Martina Wied, zu den bedeutenden Frauen, denen es um Ordnung des geistigen Chaos unserer'Zeit geht. Ihrem neuen Essayband: „Um des Menschen Willen“, stellt sie die Worte voran: „In dreifachem Glauben habe ich dieses Buch geschrieben: Im Glauben an den Menschen, im Glauben an die Unergründbarkeit des Leids und im Glauben an den Sinn des Lebens, der darin besteht, daß wir das Leid vermindern und die Freude vermehren.“ Aus dieser Einstellung kommt sie zu ihrer herben Kritik der zeitgenössischen Literatur, besonders des Existentialismus. „Der Zug nach unten in der Gegenwartsliteratur ist sehr gefährlich: er vergiftet das Innere des Menschen und mobilisiert seine niedrigen Instinkte“, heißt es einmal; oder: ..Dadurch, daß man in den Wunden wühlt, verheilen diese nicht.“

Man muß dem entgegenstellen, daß die Entlarvung unserer Situation, um die sich doch gerade jene Schriftsteller mühen, die Zenta Maurina weitgehend ablehnt — Kafka etwa oder den Amerikaner Paul Bowles —, auch eine andere sehr gesunde Seite hat. Die heutige Isolierung des Individuums ist schließlich ebenso eine Tatsache wie es die Gefahren und Schrecken sind; die unsere entartete Zivilisation auslöste. Ihnen auszuweichen, bringt uns kaum weiter. 'Nun ist ein solches Verdecken oder gar Leugnen dieser Tatbestände, gewiß nicht Zenta Maurinas Absicht. Sic selbst weiß aus ihren literarischen und philosophischen Studien und nicht zuletzt aus eigenen schweren Erlebnissen nur zu genau um die Gefährdung des heutigen Menschen — das Kapitel über den homo fugiens, den unbehausten, gleichgültigen und kontaktunfähigen, den gejagten und gespaltenen Menschen, gehört neben den Interpretationen östlicher Denker und Dichter zu den glänzendsten und überzeugendsten Teilen ihres Buches. Aber, sie besitzt etwas, was viele Menschen heute nicht mehr haben: den echten Glauben und die „unverbitterte, unerbittlich mitleidende Liebe“ — eine seelische Haltung, die mehr Gnade als Verdienst ist und die mit dem Willen allein nicht erworben werden kann. Bekennt Zenta Maurina doch selbst von Pär Lagerkvist, daß er glauben will und es nicht kann, und von Kafka, daß er lieben wollte und es nicht konnte. „Ich habe Liebende gern, aber ich kann nicht lieben. Ich bin ausgewiesen.“ Welche Trostlosigkeit und Verlassenheit in diesem Wort Kafkas, das Zenta Maurina zitiert.

Wir wollen mit unseren Einwänden gewiß nicht Zenta Maurinas Anliegen verkleinern. Gerade heute brauchen wir Menschen, die der in uns allen wachen Sehnsucht nach geistiger Erneuerung, dem Verlangen nach dem ganzen und heilen Menschen Ausdruck geben, und die vor allem auch an eine Verwirklichung solchen Sehnens glauben. Der Weg, den Zenta Maurina aufweist, ist der uralte und immer gültige der Liebe. Sie beschließt ihr Buch mit dem herrlichen Wort der Theresa von Avila: „Es kommt nicht darauf an. daß wir viel denken, sondern darauf, daß wir viel lieben! Und darum sollt ihr das tun, was euch zur Liebe anregt.“

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