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Das Herz hat Flügel

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Das Herz hat Flügel. Zenta Maurina — Leben und Werk. Von Otto Schempp. 110 Seiten. Preis 6.80 DM. — Zenta Maurina: Die eisernen Riegel zerbrechen. Geschichte eines Lebens. 3. Band. 584 Seiten. Preis 18.50 DM. — Beide im Maximilian-Dietrich-Verlag Memmingen

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Das Herz hat Flügel. Zenta Maurina — Leben und Werk. Von Otto Schempp. 110 Seiten. Preis 6.80 DM. — Zenta Maurina: Die eisernen Riegel zerbrechen. Geschichte eines Lebens. 3. Band. 584 Seiten. Preis 18.50 DM. — Beide im Maximilian-Dietrich-Verlag Memmingen

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Zum 60. Geburtstag Zenta Maurinas am 15. Dezember 1957 erschien Otto Schempps Porträtstudie der lettischen Dichterin. Es geht Schempp in seinem Büchlein vor allem um die geistige Leistung dieser Frau, der es gelang, ihr hartes Schicksal — sie ist seit ihrer frühen Kindheit durch eine Poliomyelitis an den Rollstuhl gefesselt — in ein positives, ja glückliches zu verwandeln.. Diesen schweren „Weg zum Menschen“, Zenta Maurinas Fähigkeit einer „unverbitterten, unerbittlich mitleidenden Liebe“, auf die wohl letztlich der große Erfolg ihrer BücheT und Vorträge zurückgeht, verfolgt Schempp mit viel Verständnis und Einfühlungsgabe. Sehr treffend ist sein Vergleich Maurinas mit den Frauen der deutschen Romantik, deren Bemühen um eine allseitige harmonische Ausbildung der Persönlichkeit und geradezu geniale Begabung zur Freundschaft und Liebe in hohem Maße auch Zenta Maurina. besitzt.

Im ganzen gesehen ist Schempps Studie keine kritische Auseinandersetzung mit dem Werk der Dichterin, sondern eine ausgesprochene Huldigungsschrift. Eine schöne Ergänzung des Bandes bilden die zwölf Photos, die Wesentliches aussagen über die Entwicklung einer Persönlichkeit, der eine große menschliche Leistung gelang.

Diese Wertung bleibt unangetastet, auch wenn wir gegenüber dem kürzlich erschienenen 3. Band von Zenta Maurinas Autobiographie „Die eisernen Riegel zerbrechen“ einige Einwände erheben müssen. Das Buch behandelt die Periode von 1940 bis 1946. Für Maurina, die damals einen Höhepunkt ihres literarischen Wirkens in ihrer Heimat erreicht hatte, brachte der Einmarsch der Bolschewisten in Lettland im Jahre 1940 das Ende ihres freien Schaffens; darnach kam die deutsche Besetzung Lettlands mit ähnlichen geistigen Folgen. Und schließlich die Flucht vor der zweiten russischen Invasion. Eine Flucht gewiß voller Schwierigkeiten und Schrecken, wie jeder einzelne Aufbruch in die Fremde der Unzähligen, die damals und später dieses Schicksal traf, und teilweise härter traf. Das aber vermissen wir an Zenta Maurinas Bericht über diese Zeit, daß sie ihr eigenes Erleben ins Gleichnishafte des Zeitschicksals gehoben hätte. Vieler ihrer Ausführungen wirken doch auch in der Rückschau recht ichbefangen. Das gilt nicht zuletzt

für ihre Darstellung menschlicher Begegnungen, bei der sie wiederholt von der ihr entgegengebrachten Bewunderung und Anhänglichkeit in einer Weise spricht, die an Selbstbespiegelung und an die Preisgabe eines intimen Bereiches grenzt, der dem, der ihn erlebte, allein gehören sollte oder zum mindesten nicht für breite Kreise publiziert werden dürfte. Gewiß, Zenta Maurinas Widerhall bei anderen Mensrhen ist kein Zufall. Sie nimmt, wie sie einmal sagt, immer wieder die Bedrängnis der anderen in sich auf, und dieses Engagement schafft Resonanz. Wir bezweifeln also keineswegs, daß diese Frau etwas heute selten Gewordenes zu geben hat: ihren unerschütterlichen Glauben an den Menschen und ihre Botschaft der Liebe an eine von Angst und Haß befallene Welt. Hier liegt das Geheimnis ihrer Wirkung. Nur sollte sie selbst besser nicht soviel davon sprechen.

Am ergreifendsten in diesem letzten Buch Zenta Maurinas dünkt uns das Bekenntnis am Beginn, daß ihr das Sich-Fügen und Stillehalten so schwer fällt, und daß sie schließlich doch die Bescheidung gelernt hat:

„Daß ich das Leben nicht nach meinem Willen formen kann, wie ich's zu Anbeginn der weiten Fahrt vorhatte, weiß ich nun. Während ich das letzte Stück Weg zurücklege, versuche ich nicht, meinen Willen durchzusetzen, sondern das mit unsichtbaren Buchstaben geschriebene Gesetz zu enthüllen. .. Wenn jegliches in jeglichem enthalten und alles mit allem verbunden ist, dann bin auch ich in Gott. Ich sah Seinen unverlöschlichen Glanz und trage einen Funken davon in mir. Alle Tore, Pforten und Türen waren verrammelt, meine Hand war viel zu schwach, sie zu öffnen. Krankheit, Armut, Krieg und Revolution versperrten den Weg in die Freiheit, aber im letzten Augenblick, als alles verloren schien, zerbrachen die eisernen Riegel, manchmal durch ein von irgend jemand gesprochenes Wort, durch eine kleine Tat eines sogenannten kleinen Menschen . . . Trotz aller Empörung und allem Hader, trotz aller Niederlagen und verheerenden Verzweiflung, beuge ich mich vor der Kraft, die die Blumen blühen, die Frucht reifen, die Sonne auf- und untergehen läßt, Menschen und .Vögel ihre Bahn weist. Unser Weg

Ist vorgezeichnet, an uns liegt es, ihn zu finden, und indem wir ihn trotz aller Verirrungen zu Ende gehen, werden wir frei.

Aus dem Sturm der Vernichtung, aus dem Feuer der Menschenbosheit hat mich eine unsichtbare Hand ins Leben getragen, nicht damit ich einige Jahre länger lebe, sondern damit ich den Tod im Leben überwinde, das heißt, nicht am Grauen klebe, sondern den Blick an den Stern hänge, der mitten in der Nacht aufging . . .“

In diesen Worten ist alles an Zenta Maurina Liebens- und Bewundernswerte beschlossen: das feurige und doch so warme Herz, der stürmische Geist, der Krankheit, Not und Elend bezwungen hat — aber, nun nicht mehr selbstherrlich, sondern sich bescheidend in den uns Menschen gesetzten Grenzen.

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