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Amo ergo sum

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In der wachen Bezogenheit auf den Mitmenschen, in ihrer starken Liebes- und Kontaktfähigkeit, in ihrem Bestreben, dem von Angst heimgesuchten Menschen unserer Zeit Kraftquellen zu erschließen, die ihm eine echte Bewältigung des Lebens ermöglichen, und in ihrem unerschütterlichen Glauben an den Menschen liegen die Gründe des ungewöhnlichen Erfolgs dieser Frau, deren Bücher den gleichen Widerhall finden wie ihre Vorträge in den großen und kleinen Städten vieler Länder.

Daß ein Mensch, der in frühester Jugend durch eine schwere Kinderlähmung an den Rollstuhl gefesselt wird, sich die unbegrenzte Fähigkeit zur Freude zu wahren weiß, daß er auf der Höhe des Lebens sagen darf: „Alles in Freud und Leid Erlebte und Erlittene ist in die fünf Worte zusammenzufassen: ,Amo ergo sum’”, zeugt von einer Seelenstärke, die nicht wirkungslos bleiben konnte gerade in unserer Zeit. Um diese geistige Leistung, den Erweis, daß der Geist stärker ist als die Materie, daß er auch das härteste Schicksal in ein positives, ja glückliches, zu verwandeln vermag, dreht sich im Grunde das gesamte Leben und Werk Zenta Maurinas. Und gerade weil ihr eigener Weg so schwer, so erbarmungslos war, hat er eine Ueber- zeugungskraft, die Wellen schlägt und Kreise zieht.

Zenta Maurina hat einmal geschrieben: „Dieses entsetzliche Wort .gelähmt’ tut so weh, daß ich ‘ganz stumm werde. Jedesmal, wenn ich es höre oder lese, zieht sich das Herz in einem Krampf zusammen. Es gibt ja in meinem Leben noch einige Dinge, die bemerkenswerter sind.” Und in ihrem Buch „Denn das Wagnis ist schön” stehen die Worte:

„War ich geboren, um verfolgt zu werden? Die Krankheit war mein Verhängnis, der unausrottbare Feind, oder die mir von dem Lenker aller Schicksale auferlegte Prüfung. .. Aber warum erschwerten meine Mitmenschen diese Last? Genügte es nicht, daß ich ein Sonderschicksal trug, warum stellte man an mich noch Sonderforderungen? Nie habe ich verstehen können, warum zu allem, was ich tat, anfangs ein Nein erscholl. Was mir natürlich schien, wurde von meiner Umgebung als eitler Wahn aufgefaßt. Als ich ins Gymnasium eintreten wollte, sagten alle, mit Ausnahme meines Vaters: Nein, tausendmal .nein! Dasselbe Nein erklang, als ich in die Universität eintrat. Von meiner Auslandsreise ganz zu schweigen. Und welch ein Nein schrie man mir entgegen, als ich Lehrerin werden wollte… Als ich ein so unschuldiges Geschäft betrieb wie Bücher schreiben, wie bin ich da angefeindet worden…. Immer wieder versuchte ich, an den Gift- speiern vorüberzugehen. Ich wollte an das Böse nicht glauben, weil es sinnlos war, und den Haß durch ein Nichtbeachten, durch ein Vorübergehen, durch eine gütige Antwort besiegen.… Ich hielt mich an die von meinem Vater so oft gehörte Daina-Weisheit: Hilf diesem, hilf jenem, hilf deinem Feind. Aber ich irrte mich. Mein Schweigen wurde als Schwäche gedeutet.…”

Das eben erwähnte Buch „Denn das Wagnis ist schön” — eine Fortsetzung der Kindheitserinnerungen „Die weite Fahrt” — umfaßt die Zeitspanne zwischen 1922 und 1940, dem Jahr, in dem Zenta Maurinas lettische Heimat dem russischen Ansturm erlag. Seither lebt sie in Uppsala in Schweden; trotz ihres umfassenden Wirkungskreises dort, trotz ihrer weithin anerkannten schriftstellerischen Tätigkeit und trotz des lebendigen Wider’-alls ihrer Vortragsreisen im In- und Ausland am Schicksal des Flüchtlings krankend und sehr lebendig der verlorenen alten Heimat verbunden.

Wenn in diesem Lebensbuch die Begegnung mit Menschen und deren geistige Ausstrahlungskraft auf das eigene Wesen im Mittelpunkt steht — ebenso wie in der kleinen Studie über Elly Ney, an der Zenta Maurina viel verwandte Züge liebt —, spiegelt der Essayband „Mosaik des Herzens” andere Fähigkeiten dieser Frau, freilich auch ihre Grenzen, die, es scheint paradox, in ihrer ungewöhnlichen Bildung und ihrem umfassenden Wissen liegen. Dieses verführt Zenta Maurina nämlich in ihren Essays manchmal zu einer Aneinanderreihung von Gedanken bedeutender Persönlichkeiten zu den von ihr angeschnittenen Problemen, die nicht immer zu einem einheitlichen Ganzen zusammenwachsen, denen vor allem jene Unmittelbarkeit fehlt, die Zenta Maurinas eigene Ueberlegungen so anziehend und so überzeugend machen.

In dem uns vorliegenden Band „Mosaik des Herzens” werden die Themenkreise „Ehrfurcht und Mitleid”, „Vom Sinn des Schmerzes und der Freude” und „Das unlösbare Rätsel: Liebe und Freundschaft” behandelt. Auch hier finden wir wieder die Zenta Maurina eigene Sicht, alle Probleme vom Menschen her und auf ihn hingeordnet anzuschneiden. Sie schildert, wie bedeutende Repräsentanten des Geistes in Vergangenheit und Gegenwart sie interpretiert und in ihrem Leben bewältigt haben. Am wichtigsten aber ist ihr, den Einzelmenschen zu einer Neuwerdung aus dem Geist, zu einer persönlichen Stellungnahme hinzuführen und ihm die Aufgaben zu zeigen, die er als Individuum und als Kind seiner Zeit hat.

Amo ergo sum ist ihre letzte Weisheit, und in dieser Botschaft der Liebe liegt ihre Bedeutung für den unbehausten, gleichgültigen und bindungslosen Menschen unserer Epoche, der, so scheint es, doch ansprechbar ist von den Kräften des Herzens. Denn Zenta Maurinas Leser- und Hörerkreis ist ständig im Wachsen begriffen.

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