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Die Luge in der Wahrheit

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Fast könnte man versucht sein, das einzige Lustspiel, das Grillparzer schrieb, als Lehrstück zu bezeichnen. „Weh dem, der lügt!“, derzeit im Volkstheater aulgeführt, stellt die im Titel ausgesprochene moralische Forderung nach Wahrheit gleich an den Anfang des Stückes. Bietet Grillparzer in Leon lehrhaft ein Vorbild? Es gab sie in einzelnen Meisterdramen von früher, so daß der bekannte Zürcher Germanist Emil Staiger vor kurzem reichlich professoral nach Vorbildern in der heutigen Literatur verlangte. Leon ist aber kein Vorbild.

Der pfiffige Küchenjunge betreibt mit der Wahrheit ein geradezu equi-libristisches Kunststück. Er sagt die Wahrheit, aber er sagt sie so, daß man sie als Lüge nimmt, wodurch er die Wahrheit entdeckt und nun der Betrug ermöglicht wird, durch den er den Neffen des Bischofs, Atalus, aus der Gefangenschaft befreit Edrita stellt durchaus richtig fest: „Es lügt der Mensch mit Worten nicht allein, auch mit der Tat.“

Der Bischof aber rückt von seiner ursprünglich unabdingbaren Forderung ab, das Lehrwerk schwindet, der aufgehobene Zeigefinger sinkt, der Kirchenfürst gelangt zu einer milderen Beurteilung menschlicher Schwäche, er erklärt, Gott selbst habe die Lüge dem „Geschlecht der Sünden“ als buntes Kleid umgehängt, damit es „am Strahl der Wahrheit nicht erblinde“. Es ist das ein Gott, der dieses „bunte Kleid“ nicht verwirft. Vielleicht wäre Grill-parzers Bischof zu widersprechen. Doch „lügt“ und handelt Leon um eines guten Zweckes willen. Die Lüge, die gigantische Verbrechen gleißnerisch verhüllt, wie wir es in unserem Jahrhundert erfahren haben, ist damit nicht sanktioniert.

Unbegreiflicherweise streicht Gustav Manker als Regisseur die entscheidende Stelle des Stückes, wo die Wahrheit zur Lüge wird, statt sie herauszuheben. Oder vielleicht ist es doch begreiflich, denn ihm geht es anscheinend vor allem darum, aus den Szenen mit den Barbaren eine Posse erstehen zu lassen, wo er sich in Übertreibungen nicht genug tun kann. So muß Rudolf Strobl den Galomir noch kretinhafter spielen als es sonst üblich ist, obwohl Grillparzer vor solch einer Auffassung der Figur warnte. Der sehr wirksame Beginn mit Hein2 Petters als pfiffiger Leon und dem von schlichter Gottesdemut und Güte erfüllten Gustav Diefjen-bacher als Bischof wird im Lauf des Abends durch Klamauk völlig vertan. Dabei sind nicht nur Petters und Dieffenbacher, sondern auch Dolores Schmidinger als das Naturkind Edrita und manch andere Mitwirkende vorzügliche Besetzung. Die Bühnenbilder von Georp Schmid, die wie Kinderbuchillustrationen wirken, entsprechen ebenfalls nicht dem Stück, in dem viel mehr steckt als ein Vorwand für Possenhaftes.

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