"Jahrmarkt der Eitelkeit" von Thackeray: Und alle drängen nach oben

19451960198020002020

William Makepeace Thackeray zeichnet ein Bild quer durch alle verschiedenen Milieus in England. Ein lesenswertes Abbild einer verbohrten Gesellschaft.

19451960198020002020

William Makepeace Thackeray zeichnet ein Bild quer durch alle verschiedenen Milieus in England. Ein lesenswertes Abbild einer verbohrten Gesellschaft.

Werbung
Werbung
Werbung

Geboren als Sohn eines Kolonialbeamten in Kalkutta kam William Makepeace Thackeray (1811–1863) im Alter von sechs Jahren nach England. In Internaten wurde ihm nicht nur Bildung vermittelt, sondern wurde er auch in die Gepflogenheiten der bürgerlichen Gesellschaft eingeführt. Er war ein gelehriger Schüler, der sich die Spielregeln zu eigen machte und – was nicht vorgesehen war – sich darüber seine Gedanken machte. Er betrieb perfekte Mimikry, ging auf in der Gesellschaft, deren Durchtriebenheit er längst durchschaut hatte.

Für sich behalten wollte er seine Erkenntnisse nicht, er machte Literatur daraus, die ihn mit Charles Dickens zu den herausragenden Schriftstellerpersönlichkeiten des Viktorianischen Zeitalters werden ließ. Dickens wollte sich mit den Verhältnissen nicht abfinden, seine Romane sind die finsteren Zeugnisse einer Zeit, in der soziale Unterschiede Verbrechen und Ausbeutung hervorbringen. Unerbittlichkeit zeichnet ihn aus. Nachsichtiger geht Thackeray vor, der sich die Ironie als Waffe aneignet.

Eigentlich müsste man ihn als Produkt einer misslungenen Integration ansehen, so durchdringend, wie er seine Zeitgenossen beobachtete und nie verhehlte, dass ihm nicht recht gelingen wollte, sie ernst zu nehmen. Man fühlte sich ertappt und dennoch blendend unterhalten. Und weil sich die Vivisektion der Gesellschaft im Reich der Fiktion abspielte, war man selbst ja nie gemeint. Es gehört zur List der Literatur, auf verdeckte Art zu sprechen, das Unangenehme freundlich zu verpacken, um sich nur umso wirksamer ins Gedächtnis einzuschleichen.

1847/48 als Fortsetzungsroman in der Satirezeitschrift Punch erschienen, erzählt er in seinem Hauptwerk „Jahrmarkt der Eitelkeit“ von Vorgängen aus der Zeit, „als das gegenwärtige Jahrhundert noch in den Flegeljahren steckte“. Als „Roman ohne Held“ darf das Werk deshalb gelten, weil dessen Verfasser aufs Ganze geht. Die junge Rebecca Sharp schmuggelt sich selbst in Kreise ein, in die sie laut ihrer Herkunft nicht passt, und will nach oben. Sie macht das charmant und ehrgeizig, ist aber nur eine von vielen, die nach mehr streben, als für sie vorgesehen ist, mehr Geld, mehr Ansehen, mehr Erfolg. Also muss die ganze Gesellschaft ins Buch der Falschspieler und Intriganten, die keine besonders gute Figur abgeben. Thackeray zeichnet sie nicht als böswillige Charaktere, er macht sich lieber lustig über die Verbohrtheiten, die jeden Einzelnen quer durch die Milieus auszeichnen. Dieser Roman steht einzigartig in der Literaturlandschaft des ohnehin im 19. Jahrhundert ungeheuer starken Großbritannien.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung