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"Kosmos": Wie sich zwei kurzerhand eine Wirklichkeit erfinden

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Über Witold Gombrowiczs Roman "Kosmos" aus dem Jahr 1965.

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Über Witold Gombrowiczs Roman "Kosmos" aus dem Jahr 1965.

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Er ist ein Singulär in der polnischen Literatur, Witold Gombrowicz (1904–1969), der im Alter von 34 Jahren den Roman „Ferdydurke“ vorlegte, der als Schlüsselwerk der polnischen Moderne beurteilt wird. Dass ihn die Nazis ebenso wie die Kommunisten verbieten ließen, spricht für seine Qualität. Aus einer dem Landadel angehörenden Familie entstammend, musste sich Gombrowicz um sein Fortkommen wenig Gedanken machen. Das änderte sich, als er auf einer Schiffsreise nach Buenos Aires vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erfuhr. Das veranlasste ihn dazu, die nächsten 24 Jahre in Argentinien zu bleiben, was ihn vom Geldhahn zu Hause abschnitt. 1963 kehrte er nach Europa zurück, als Schriftsteller hatte er sich bereits eine sichere Basis verschafft, er war sogar für den Nobelpreis vorgeschlagen.

Der Beginn seines berühmten Tagebuchs steht für das literarische Programm: „Ich. Ich. Ich.“ Das ist der Nachweis dafür, dass sich einer ausschließlich auf sich selbst als kritische Instanz verlassen will. Für seine Literatur bedeutete das die Absage an Ideologien und alle tradierten Normen. Also pflegte er einen spielerischen Umgang mit traditionellen Formen, die er nur aufgriff, um sie einem Verwandlungsprozess durch eigenwillige Umgestaltungen zu unterziehen. Der Roman „Kosmos“ von 1965 ist an den Kriminalroman angelehnt, parodiert ihn aber. Ein Spatz wird gefunden, erhängt mit einem Draht. Das ist nur eines der seltsamen Ereignisse, welches Witold und Fuks, den beiden Antihelden des Buches, unterkommt. Was hat es gemeinsam mit einer verletzten Lippe und einer toten Katze? Die beiden torkeln durch ein Indiziengewirr ohne konkreten Fall. Es ist sehr witzig zu verfolgen, wie die beiden angestrengt Wirklichkeit aus voneinander unabhängigen Begebenheiten konstruieren: die Welt, reines Fake.

Das Schöne an Gombrowicz ist, wie er sich ohne sich um Vorgaben und Erwartungen zu scheren, auf den Weg macht, seine eigenen Erfindungen zum Maß aller Dinge zu erklären. Als „Versuch, das Chaos zu organisieren“, bezeichnet er selbst den Roman. Und dazu kommt eine Sprache, die sich weit entfernt vom Erzählrealismus, der gewöhnlich wenig Individuelles aufweist: „Schweiß, Fuks geht, ich hinter ihm, Hosenbeine, Absätze, Sand, wir schleppen und schleppen uns, Erde, Wagenfurchen, Schollen …“

Wäre Literatur ein Wettbewerb, Witold Gombrowicz würde an Originalität und Witz so ziemlich alles schlagen, was heute erstaunenswert ist.

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