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Wo der Mammon regiert

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Vorweg ein paar Zahlen: Das winzige Andorra grenzt sowohl an Spanien als auch an Frankreich und mißt bescheidene 560 Quadratkilometer. Der Abstand von einer Grenze zur anderen beträgt nur 30 Kilometer. Die Landschaft ist von steil abfallenden Tälern, hemmungslos wuchernden Hotelanlagen und immer breiter werdenden Straßen geprägt. Wenn sich der Urlauberverkehr im heißen Sommer im Schrittempo durch die Hauptstadt La Vella quält, ist die Stadt dem Kollaps nahe.

Der Zwergstaat präsentiert sich als großangelegter Duty-Free-Shop, der den einen höchst kostengünstiges Einkaufen bescheren kann, den anderen eine Blechlawine enormen Ausmaßes. Im Winter, wenn die Straßen mit Schneehäufen und hängengebliebenen Autos der Schi-touristen vollgestopft sind, verschärft sich die katastrophale Verkehrssituation. Doch Andorra hat sich dieses Fiasko selbst zuzuschreiben. Es regiert der Mammon. Da weder Zoll noch Steuern eingehoben werden, kann man sich mit Tabak, alkoholischen Getränken, Schmuck, Parfüms, original Edamer Käse, optischen Geräten und vielem mehr äußerst kostengünstig eindecken. Ob man damit über die Grenze kommt, ist eine andere Frage, denn die spanischen und französischen Beamten, die diesem Ansturm schon lange nicht mehr gewachsen sind, kontrollieren zwar nur stichprobenartig, dies dafür umso gründlicher. Jeder, der Andorra verläßt, wird für einen potentiellen Schmuggler gehalten. Nicht zu unrecht.

Andorra, das versteckte Liliputland inmitten der Pyrenäen ist von allen Kleinststaaten Europas bei weitem der eigenartigste.

Andorra ist völlig von der Wirtschaft seiner Nachbarstaaten abhängig, von denen es Währung und Sprache übernommen hat. Die Briefmarken werden in spanischen Druckereien hergestellt, eventuelle Verbrecher in französische Gefängnisse geliefert. Das Kraftwerk wurde von Frankreich gebaut, mit dem Risiko, daß es die Andorraner jederzeit schließen können und noch dazu den Strom nahezu kostenlos beziehen. Für die Nutzung bedarf es einer Durchzugsstraße, die spanische Arbeiter auf Kosten der spanischen Regierung anlegten. So einfach ist das und Andorras Staatssäckel ist immer gut gefüllt.

Dazu hat das Land eine friedliche Vergangenheit wie kaum ein anderer Staat in Europa. Seit 1278, als‘ ein Vertrag zwischen französischen Fürsten und spanischen Bischöfen abgeschlossen wurde, herrscht Ruhe und Beschaulichkeit. Andorra hat sich der Weltpolitik immer ferngehalten, hat keine diplomatischen Vertretungen im Ausland und kein Militär. Vom spanischen Bürgerkrieg blieb es genauso verschont wie vom Zweiten Weltkrieg, der vor seinen Toren haltmachte. In dieser Zeit war es Tummelplatz von Franco-Deserteu-ren, Agenten aller Länder einschließlich ehemaliger NS-Größen und Vichy-Flüchtlingen.

Andorra ist widersprüchlich und fragwürdig. Nicht für Schi- und Einkaufstouristen, die hierher strömen, wohl aber für den staunenden Beobachter, der nach dem Mechanismus des Ganzen fragt. Doch dabei erntet er nur Unverständnis und störrisches Schweigen, ein Schweigen, in dem das mißtrauische Bergvolk seit Generationen geübt ist.

Auf diese Weise hat Andorra es immer geschafft, mehreren Herren zu dienen. Im eigenen Land herrscht wenig Bereitschaft zu sozialem handeln, weil dies dagegen verstieße, was in Andorra für Freiheit gehalten wird. Versicherungen und Gesundheitswesen sind unterentwickelt.

Eines jedoch ist Andorra zugute zu halten: auf jene Steuertricks, die Monaco und Liechtenstein brauchen, um zu ausländischem Geld zu kommen, kann man in Andorra verzichten. Das liegt wohl auch an der tief verwurzelten katholischen Moral, die weder Spielkasinos noch Ausschweifungen oder allzu dunkle Machenschaften duldet. Trotzdem: Pe-cunia non olet, das wissen auch die andorranischen Bergbauern.

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