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Katalanisch in den Pyrenäen

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In Barcelona steht das Denkmal des größten Herrschers von Katalonien, Berenguers IV., der durch Heirat Aragonien erwarb und damit den Anstoß dafür gab, daß sein Land mit dem in Katalonien wenig beliebten Kastilien vereinigt wurde. Seither steht Katalonien grundsätzlich im Gegensatz zu Madrid; so anerkannte es während des Spanischen Erbfolgekrieges den Habsburger Carlos III., den deutschen Kaiser Karl VI.

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In Barcelona steht das Denkmal des größten Herrschers von Katalonien, Berenguers IV., der durch Heirat Aragonien erwarb und damit den Anstoß dafür gab, daß sein Land mit dem in Katalonien wenig beliebten Kastilien vereinigt wurde. Seither steht Katalonien grundsätzlich im Gegensatz zu Madrid; so anerkannte es während des Spanischen Erbfolgekrieges den Habsburger Carlos III., den deutschen Kaiser Karl VI.

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Während des blutigen Bürgerkrieges von 1936 bis 1939 stand Katalonien gegen Francisco Franco. Nach dessen Sieg verschwand die katalo-nische Sprache aus dem öffentlichen Leben. Eine formenreiche Tochtersprache Roms, im 13. Jahrhundert durch den Theologen und Philosophen Ra/mön Lull (Raimundus Lul-lus) in die hohe Literatur eingeführt, wurde sie wie das Provencali-sche im benachbarten Frankreich zum Dialekt degradiert. Nur an einem Ort behielt das Katalanische sein Recht: in der Kirche, die unter den Roten so hart verfolgt worden ist, nun aber edle Rache übt. In der an Kunstschätzen überreichen Kathedrale von Barcelona wird katatonisch gepredigt und die Beichte laut Anschlag auf „castellano, catalän, francais, english und deutsch“ gehört.

Und doch gibt es ein Land unter den 34 Heraschaftsgebilden Europas, in welchem das Katalanische Staatssprache und damit für die Zukunft gesichert ist. Es ist dies das „Prin-cipat d'Andorra“, das fälschlich meist als Republik geführt wird. Seine Hauptstadt heißt nicht, wie in den Handbüchern zu lesen, Andorra la Vieja, sondern Andorra la Vella. An der Grenze grüßt kein „bien venido“, sondern ein „ben vin gut“; die Verbotstafeln sind in einem Katalanisch, dem die französische und die spanische Übersetzung folgt; die zahlreichen Banken tragen die Aufschrift auf katalanisch, mit spanischer, französischer, englischer und deutscher Übersetzung; daß der „Bisbe“ (Bischof) im Anschlag an der Kirchentüre seine Schäflein in der Landessprache begrüßt, die auch den — streng nach den römischen Anordnungen gestalteten — Gottesdienst beherrscht, ist selbstverständlich, obwohl sein Amtssitz in Spanien Seo d'Urgel, in Andorra Seu d'Urgell geschrieben wird.

Der Bischof von Ungel ist neben dem römischen Papst der einzige katholische Kirchenfürst, der zugleich weltlicher Herrscher ist und es auch trotz aller modernen Bestrebungen zur Trennung von Staat und Kirche bleiben wird. Er ist von Amts wegen „Coprinceps“ von Andorra. Daß die Andorraner Versuche, aus ihrem Lande einen Kirchenstaat zu machen, abgewehrt haben, beweist der Zwischenfall vom Jahre 1853, den das „Andorra-Magazine“ vom „15. Maiig“ (sie!) 1971 aufwärmt. In Spanien regierte Isabella II., welche die Vormundschaft des Generals Espartero abgeschüttelt hatte, in Frankreich schritt Napoleon III. zum Krieg gegen Rußland, den bischöflichen Stuhl von Urgel hatte Msgr. Caixal bestiegen, ein ' autoritärer Kirchenfürst, der Andorra gerne in einen Kirchenstaat verwandelt hätte. Nun hatte das Tribunal von Andorra einen Mann zum Tode verurteilt; der Bischof begnadigte ihn, wobei die Andorraner der Meinung waren, er habe weniger aus christlicher Milde als aus dem Bestreben gehandelt, sich als Herrscher von Andorra zu zeigen, dem das Blutrecht zukomme. Auch sei der französische „Coprinceps“ nicht befragt worden. Nach langem Hin und Her entschied der Häftling den Rechtsfall selber; er starb auf natürliche Art, ohne die Dienste des Henkers in Anspruch zu nehmen. Bischof Caixal holte sich eine zweite Abfuhr, als er 1866 eine Konstitution erließ, welche die Andorraner nicht einmal lesen wollten.

Der Bischof von Urgel, vor einem Jahrhundert ein streitbarer, heute ein sehr milder Herr, ist nämlich nur Halbsouverän, „Coprinceps“; seine „andere Hälfte“ ist seit dem Vertrag vom 7. September 1278, von Papst Martin IV. bestätigt am 6. Dezember 1288, der Graf von Foix in Südfrankreich, der durch seine Heirat mit Ermeainde von Castellbö, der Erbtochter eines Lehensmannes des Bischofs von Urgel, mit letzterem zusammen Mitfürst von Andorra wurde. Aus dem Grafen von Foix wurde der König von Navarra, aus diesem wieder mit Heinrich IV. der König von Frankreich, aus diesem der Kaiser der Franzosen und schließlich der Präsident der Französischen Republik.

Staatsverträge, welche Andorra betreffen, müssen jeweils vom französischen und vom spanischen Delegierten unterzeichnet sein, wie es das Genfer Radioabkommen von 1952 bewies. Die Sendemasten von Radio Andorra beherrschen nicht nur die Berge des Fürstentums, sondern weithin das Äthermeer; „Aqui Radio Andorra“ war während der Kriegsjahre ein europäischer Begriff.

Die Doppelherrschaft bewahrte die Andorraner vor manchem Übel. Während der Französischen Revolution entsandte der Bischof von Urgel Polizeitruppen, während des spanischen Bürgerkrieges tat Frankreich den gleichen Liebesdienst, während der deutschen Besetzung Frankreichs ließ die Rücksicht auf Spanien Andorra leben; erst das nach der Liberation in der Nachbarschaft einsetzende Chaos führte vom 18. November 1944 bis zum 18. Mai 1945 zu einer gemeinsamen französisch-spanischen Besetzung, so daß der Kleinstaat auch sein Kriegserlebnis hatte.

Und wovon leben die 6234 Andorraner samt ihren 12.598 spanischen Arbeitern und Angestellten und ihren 1136 Franzosen? Nach weitverbreiteter Ansicht vom Schmuggel. Auch dies ist eine jener Fehlvorstellungen wie die andere, die von einer

Republik spricht. Die Andorraner Schmuggler haben sich längst weniger riskanten Erwerbszweigen zugewandt und das Schmuggeln viel eher ihren zahlreichen Gästen überlassen. Andorra liegt außerhalb des französischen und des spanischen Zollgebietes, daher die sagenhafte Billigkeit in diesem Ländchen, wo man um einen österreichischen Schilling mit dem Autobus durch ganze Orte fährt und um zwanzig Schilling eine Mahlzeit von vier Gängen vorgesetzt erhält, wo man österreichische Erzeugnisse um einen Bruchteil des bei uns geltenden Preises erstehen kann. Hier kassiert eben weder Monsieur Pompidou noch der Generalissimo Franco. Dieses Versäumnis wird allerdings an den Grenzen nachgeholt. Hier stauen sich die Kraftwagen, unter den Bildern Pompi-dous oder Francos wird jeder Koffer umgedreht und größere Frankenoder Pesetenscheine wandern in die unersättliche Amtskasse.

Riesige Kraftwerksanlagen, vorzügliche Bergstraßen und Seilbahnen machen Andorra zu einem begehrten Reiseziel. Leider ist die Bauordnung weniger traditionsbewußt als die Sprachpflege. Das Bild der alten Häuser mit den romanischen Kirchtürmen lebt nur noch auf den Prospekten. Ein Autöbahnibau verändert die Landschaft; seine Notwendigkeit begreift man, auch wenn man weniger Verständnis dafür aufbringt, daß moderne Geschäftsfoauten ziemlich planlos in die Stadtbilder gestellt werden. Gegenwärtig sind die Orte an der Durchzugsstraße ein einziger riesiger Bauplatz, für den die Arbeitskräfte in Spanien arageworden werden müssen.

Um so lieber flüchtet man in die Berge, die selbst dem Gast aus dem fernen Österreich — „Austria ( ist doch das Land, aus dem die großen Carlos und Felipe nach Spanien gekommen sind?“ — viel zu bieten haben. Andorra ist mehr als ein völkerrechtliches Kuriosum, mehr als eine Insel niederer Preise; das kleine Fürstentum ist ein lebendiges Stück Geschichte und durch die treue Pflege der Landessprache ein Bewahrer reichen kulturellen Erbes.

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