Das Klischee vom rasenden Reporter

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Egon Erwin Kisch war unermüdlich unterwegs, aber er nahm sich Zeit zum Sehen, Verarbeiten und sorgfältigen Formulieren.

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Egon Erwin Kisch war unermüdlich unterwegs, aber er nahm sich Zeit zum Sehen, Verarbeiten und sorgfältigen Formulieren.

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Rechtzeitig für die Egon Erwin Kisch-Ausstellung im Jüdischen Museum (siehe Seite 10) erschien auch die Biographie "Der rasende Reporter" in Bildern. Der geniale Buchtitel wurde Kischs Markenzeichen, trug viel zu seiner Popularität bei, stolz erwähnte er, selbst in China auf den "Lasenden Lepoltel" angeredet worden zu sein. Doch wer ihn liest, relativiert alsbald das Klischee: Kisch war zwar unermüdlich unterwegs, aber alles andere als ein Raser, vielmehr ein sorgfältiger Beobachter, ein seine Beobachtungen Reflektierender, ein die Verhältnisse Analysierender, und ein mit der Sprache bewußt und sorgfältig umgehender Formulierer.

Kisch war Journalist, was die Themen betraf, über die er schrieb, aber Dichter dadurch, wie er schrieb, einer der großen Meister der kleinen und mittleren Form, sozusagen ein Josef Roth, der keine Romane schrieb und sein ganzes Können und all seinen Ehrgeiz in die Reportage investierte. Auch heute noch gilt: Wer Reportagen schreibt, muß Kisch gelesen haben, auch wenn er es dann ganz anders macht. Viele, die ihn nicht gelesen haben, machen ihn nämlich schlecht nach, weil sie nur die nachmachen, die ihn nachmachen - oft ihrerseits aus zweiter Hand.

In einer Hinsicht hatte Kisch es freilich leicht: Er besaß als Kommunist einen Begriffs- und Verständnisraster, der es ihm ermöglichte, die Dinge einzuordnen. Der fehlt uns heute. Reportage war für ihn ein Werkzeug des politischen Kampfes. Er hatte es gerade dadurch freilich auch schwer. Spätestens nach dem Hitler-Stalin-Pakt konnte er die Parteilinie innerlich nicht mehr bejahen, wollte aber auch nicht offen mit ihr brechen und damit den Zusammenhalt der ihr nahestehenden Emigranten schwächen. Auch Gisela, seine Frau, sorgte dafür, daß er bei der Stange blieb. Heimgekehrt nach Prag, fühlte er sich nach 1945 einsam. Zwei Brüder waren von den Nazis ermordet, die Freunde zerstreut, "seine" Partei ließ ihn links liegen - im wahrsten Sinn des Wortes. Er starb vor 50 Jahren, müde, verbraucht, noch keine 63 Jahre alt.

In der von Marcus G. Patka erarbeiteten, vom omnipräsenten Hellmuth Karasek eingeleiteten Bildbiographie zu schmökern, am besten vor oder nach einem Besuch obenerwähnter Ausstellung, dürfte ein guter Weg sein, sich dem Menschen Kisch anzunähern, seine Zeit zu verstehen, etwas von ihrer Atmosphäre zu erspüren. Das Mosaikhafte der Bildbiographie, die Fülle der Bilddokumente kommt gerade diesem Leben mit seinen vielen Stationen und Reisen und vielfältigen menschlichen Beziehungen besonders entgegen.

"Ohne Egon Erwin Kisch," schrieb Otto Katz 1948 in der "Weltbühne" unter dem Pseudonym Andre Simon, "wäre die Menschheit ärmer um ihren optimistischesten Pessimisten, der keine gute und jede schlechte Nachricht glaubt, und der doch zutiefst überzeugt ist, daß man die Welt ändern kann und wird ... Ohne Egon Erwin Kisch wäre die Literatur ärmer um einige Meisterwerke ... Ohne Egon Erwin Kisch wären seine Freunde ärmer um den Gefährten, der ihnen einigen Ärger und viel Vergnügen bereitet hat. Ohne ihn wäre die Emigration schwerer zu ertragen gewesen."

Dem ist kaum etwas hinzuzufügen.

Der rasende Reporter - Egon Erwin Kisch Herausgegeben von Marcus G. Patka, Vorwort Hellmuth Karasek, Aufbau-Verlag, Berlin 1998, 3044 Seiten, 291 Abbildungen, geb., öS 437,

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