Ein Regie-Star und seine Vergangenheit

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„Skandal in Wien!“, hätte an jenem 17. September die versammelte Weltpresse geschrien und geschrieben. Bernard Kouchner hätte Michael Spindelegger angerufen, das Gespräch wäre, hätten Ohrenzeugen wissen wollen, ganz und gar friktiv verlaufen. Michael Haneke, frankophil wie der Protagonist der Aufregung, hätte ein Künstlerkomitee angeführt: Von der Literaturnobelpreisträgerin bis zum heimischen Oscar-Regisseur hätten sich alle darin getummelt und „unverzügliche Freilassung“ gefordert. Heinz-Christian Strache und Michael Jeannée hingegen hätten der Empörung des kleinen Mannes ihre Stimme verliehen, letzterer hätte geschrieben, seit „Rosemary’s Baby“ sei ihm bei jedem seiner Filme das Kotzen gekommen, und überhaupt gäbe es für Kinderschänder in Österreich keinen Platz und schon gar keine Gnade.

Bekanntlich fand beschriebenes Szenario nicht statt, denn als am 16. September Roman Polanski in Wien war, um der Wiederaufnahme des Musicals „Tanz der Vampire“ nach seinem gleichnamigen Film beizuwohnen, war da kein kleiner Kriminalbeamter, der den internationalen Haftbefehl gegen den franko-polnischen Regie-Star auch vollstrecken ließ – obwohl seit 2005 ein solches US-Rechtshilfeansuchen für die ins Jahr 1977 datierende Notzucht vorlag. So blieb es zehn Tage später der eidgenössischen Justiz vorbehalten, die Schlagzeilen der Causa Polanski einzuheimsen.

Wie eine besonders illustre Episode der TV-Serie „Cold Case – Kein Opfer ist je vergessen“ gestaltet sich das Treiben rund um Polanski, der bis zu jenem 26. September unbehelligt reisen konnte. Nur die USA hatte er nie wieder betreten, seitdem er 1978 während seines Prozesses nach Frankreich geflohen war. Das Verfahren war anhängig, weil Polanski vorgeworfen wurde, 1977 bei einer Party im Haus seines Freundes Jack Nicholson mit einer 13-Jährigen sexuell verkehrt zu haben. Dem Prozess, in dem Polanski, einen Deal mit der Staatsanwaltschaft vor Augen, den sexuellen Verkehr mit der Minderjährigen gestanden hatte, entzog er sich durch Flucht – weil sich der Richter nicht an die Abmachung halten wollte. Erst vor wenigen Wochen hatte ein US-Richter festgestellt, dass es im damaligen Strafverfahren ein „ernstliches Fehlverhalten“ der Justiz gegeben hatte. Der Richter hatte aber von Polanski verlangt, sein Anliegen dem Gericht persönlich vorzutragen; dieser Aufforderung war der Regisseur aus Angst vor einer Verhaftung in den USA nicht gefolgt.

Just einen Tag vor seiner Festnahme war Polanski schon von einem weiteren schmerzlichen Kapitel seiner Vergangenheit eingeholt worden: Am 25. September verstarb Susan Atkins in einer kalifornischen Haftanstalt an den Folgen eines Gehirntumors. Atkins, Anhängerin des Satanisten Charles Manson, war 1969 ins Haus von Polanski und seiner damaligen Frau Sharon Tate eingedrungen und hatte die schwangere Schauspielerin und drei andere Anwesende mit Küchenmessern ermordet.

Polanski, der nach 1977 eine große Zahl grandioser Filme gedreht hatte („Chinatown“, „Bitter Moon“, „Der Pianist“, für den er 2002 den Oscar erhielt), lebte nun schon drei Jahrzehnte mit dem Damoklesschwert einer Verhaftung.

Von seinem jüngsten Opus „Ghost“, das der 76-Jährige in Deutschland gedreht hatte, beendete er erst kürzlich den Schnitt. Weil aber Filmmusik und Tonmischung fehlen, liegt die Fertigstellung dieses Films – bis auf weiteres – auf Eis.

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