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Siebenbürgens versunkene Welt: Eginald Schlattners Roman "Der geköpfte Hahn" verfilmt.

Zu Weihnachten 1990 stand der Pfarrer von Rothberg bei Hermannstadt vor einer fast leeren Kirche. Was der Druck des Ceausescu-Regimes nicht geschafft hatte, ging durch die Verlockung der Deutschen Mark ganz schnell: Die Dörfer und Stadthäuser der Siebenbürger Sachsen entvölkerten sich, eine etwa 800-jährige Kultur kam an ihr Ende. Der Pfarrer wollte für die Nachwelt die Erinnerung an diese Kultur festhalten. Und darüber wurde aus dem Pfarrer der Schriftsteller Eginald Schlattner, sein Erzählen weitete sich zum Roman Der geköpfte Hahn, der 1998 erschien. Ihm folgte 2000 Rote Handschuhe und 2005 Das Klavier im Nebel - eine Trilogie, die weit über Chronologie und Beschreibung des Lebens der deutschsprachigen Bevölkerung Siebenbürgens hinausgeht und diese mit dem langen Atem der Erzählung künstlerisch gestaltet.

Film und Roman

Es verwundert nicht, dass sich nun der Film der bilder- und episodenreichen Romanvorlage von Der geköpfte Hahn angenommen hat. Die Frage ist wie bei allen Literaturverfilmungen: Will der Film mit seinen eigenen künstlerischen Mitteln den Roman erzählen und interpretieren oder ihn auf seine Haupthandlung reduzieren und diese bebildern? Regisseur Radu Gabrea hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden und dabei in einer österreichisch-deutsch-rumänisch-ungarischen Koproduktion den ersten Spielfilm über die Siebenbürger Sachsen geschaffen. Dabei bleiben notgedrungen viele Reflexionen und Beschreibungen des über 500 Seiten starken Romans auf der Strecke, aber die Grundstruktur wird durchaus umgesetzt; und was historische Stimmigkeit und psychologische Stringenz betrifft, vermag der Film zu überzeugen.

Wie im Roman steht am Anfang und Ende der "Exitus": so wurde in Siebenbürgen der Schulabschluss bezeichnet; das Wort ist so doppeldeutig wie das leitmotivisch wiederkehrende Symbol des geköpften Hahns. Das "Exitus"-Fest findet am 23. August 1944 statt, jenem Tag, an dem das Königreich Rumänien im Zweiten Weltkrieg die Fronten wechselte, indem es sich angesichts der immer näher kommenden Roten Armee von Nazideutschland lossagte und mit den Alliierten verbündete. Persönliche Erlebnisse und Weltgeschichte, pubertäre Kämpfe, erste Liebe und Erotik und politische Situation: alles greift ineinander, und das Karussell der Erlebnisse dreht sich schneller, als die jungen Leute begreifen können.

Die jungen Leute: Das sind der Unternehmerspross Felix Goldschmidt und der Kaminkehrersohn Hans Adolf, beide durch soziale Schranken getrennt, aber durch Blutsbrüderschaft verbunden, und die Mädchen Sigrid Alfa und Gisela Glückselich. Felix ist hin- und hergerissen zwischen Sigrid, die kokett mit Verführung wie mit Verweigerung zu spielen weiß, und Gisela, die ihn liebt. Ebenso zerrissen ist er zwischen seiner Faszination für das Führerprinzip der Hitlerjugend und der Ablehnung des Antisemitismus, dessen Auswirkungen er am Schicksal Giselas sieht, aber auch zwischen seiner Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche und den Befehlen der Partei.

Persönlich und politisch

In großer Dramatik wird sichtbar, wie "Exitus" nicht nur das Ende der Jugend bedeutet, sondern den Zerfall der multikulturellen Welt Siebenbürgens. Schauspielerinnen und Schauspieler verschiedener Herkunft und Nationalität und die weitgehend originalen Schauplätze in Rumänien machen das sehr authentisch erlebbar. Rumänische Grünhemden oder Verlautbarungen des Antonescu-Regimes setzen die Geschichte präsent, ohne die geringen diesbezüglichen Kenntnisse in unseren Breiten zu überfordern. Im Jahr des EU-Beitritts von Rumänien und der Europäischen Kulturhauptstadt Hermannstadt kommt der Film gerade recht, um ein wichtiges Stück Geschichte dieses Landes zu illustrieren. Und vielleicht gewinnt er ja Schlattners Roman noch neue Leser - er hätte es allemal verdient.

Ein sehenswerter Film also, nur sollte man sich ein paar Minuten vor Schluss aus dem Kino schleichen, denn dieser Schluss reißt alles gnadenlos in den Kitsch-Abgrund. Es gibt nämlich leider eine Rahmenhandlung: der Autor - mit rotem Schal und weißen Haaren unverkennbar Eginald Schlattner nachgebildet - erhält in Wien einen Preis und liest aus dem Buch. Im Publikum sitzt ein Mädchen, das Gisela Glückselich ähnlich sieht. Und der Autor lädt sie zum Abendessen ein, um "das Leben zu feiern" und die Hoffnung, dass es ein wenig mehr Liebe als Verrat gibt und so weiter. Dieses schlechte Pathos ist unter dem Niveau des Films, und Schlattners Roman hat das erst recht nicht verdient. Da hatte Radu Gabrea als Drehbuchautor eine bedauerliche Geschmacksverwirrung.

DER GEKÖPFTE HAHN

D/A/RO/H 2006. Regie: Radu Gabrea, Marijan Vajda. Mit David Zimmerschied, Alicja Bachleda, Werner Prinz. Verleih: Filmladen. 90 Min.

Ab. 31. August im Kino.

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