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Pedro Almodóvars "Sprich mit ihr" zeigt den Meister der Groteske einmal anders.

Es ist eine Grenzüberschreitung, in die uns Pedro Almodóvar in seinem neuen Film "Sprich mit ihr" hineinzieht. Aber eine Überschreitung von Grenzen, die sich jeder der Protagonisten für sich selbst steckt - was für den einen die Querung des Unmöglichen ist, bedeutet für den anderen nicht gleichzeitig eine Grenze. Grenzen verstellen den Weg, sind Mauern, Zäune, Netze. Davon gibt es in "Sprich mit ihr" ausreichend. Die Stierkampfarena zum Beispiel, ein spanisches Nationalheiligtum, das bei Almodóvar perspektivisch eng, aber ästhetisiert gezeigt wird. Ein Krankenzimmer, sowie ein Gefängnis, das sowohl für die, die drinnen sind, als auch für die, die draußen sind, keinen Ausweg bietet. Motive, in denen sich Almodóvars vom Schicksal gebeutelte Figuren bewegen müssen.

Der Krankenpfleger Benigno (Javier Cámara) liebt die junge Balletttänzerin Alicia (Leonor Watling). Alicia liegt seit einem Autounfall vor vier Jahren im Koma, Benigno umsorgt sie - und das, obwohl seine Liebe unerwidert bleibt - und auch unerwidert bliebe, wäre Alicia nicht im Koma. Das Schicksal gewährt Benigno einen Triumph in der Niederlage: Was er im normalen Alltag nicht erreichen könnte, erreicht er zumindest annähernd dank des komatösen Zustands von Alicia.

Der Journalist Marco (Darío Grandinetti) wiederum liebt die Stierkämpferin Lydia (Rosario Flores), die ebenfalls ins Koma fällt, als sie in der Arena von einem Stier schwer verletzt wird. Im Krankenhaus lernen sich Benigno und Marco kennen und werden Freunde. Als Alicia schwanger wird, und der Verdacht auf Benigno fällt, muss dieser ins Gefängnis. Die Freundschaft zwischen Marco und ihm gerät - an eine Grenze.

Erst, wenn die unterschiedlichen Figuren Almodóvars an ihre Grenzen stoßen, schaffen sie es, sich anderen zu öffnen. Zumindest dann setzt die starke Differenziertheit von Almodóvars Figuren aus: Alle Protagonisten sind einsam und lassen sich das gegenseitig auch spüren. Manchmal allerdings kommt diese Öffnung zu spät, etwa im Fall von Marco und Lydia.

Besonders interessant erscheint der erzählerische Zugang Almodóvars. Der Erzählfluss von "Sprich mit ihr" wird an einer Schlüsselstelle von einer Stummfilmsequenz unterbrochen, die Almodóvar eigens für "Sprich mit ihr" drehte. Sie erzählt von einem "schwindenden Liebhaber", der eines zauberhaften Trunkes wegen immer kleiner wird, bis er seiner Geliebten schließlich in die Vagina kriechen kann, und von dort einen Glücksschauer auf sie niederprasseln lässt. Almodóvar setzt diese Sequenz als Mauer, als Sichtversteller auf eine Szene ein, die jemand wie er nicht realistisch zeigen will. Der geschrumpfte Liebhaber wandert über den Körper seiner Geliebten wie über eine Landschaft, ebenso wie Benigno es bei Alicia tut. Den Zeitpunkt, als Alicia schwanger wird, visualisiert Almodóvar durch den Stummfilm, der für uns sichtbar in Benignos Kopf noch einmal abläuft.

Vieles, was uns Almodóvar in "Sprich mit ihr" zeigt, ist visuell erzählt. Dennoch ist Almodóvar ein Regisseur, der an den Dialog genauso glaubt, wie daran, dass Film ein optisches Medium ist. Was uns der Regisseur - auf den ersten Blick unnötigerweise - im Dialog verrät, stellt sich am Ende als bewusster Konterpunkt zur visuellen Kraft des Kinos heraus. "Sprich mit ihr" (sic!) ist bei aller visueller Klarheit in erster Linie ein Dialogfilm, ein Wort-Film, der die ganze Zeit über auch mit Schrift-Inserts experimentiert. Genau die Schrift-Inserts sind es, die beide Ebenen - nämlich die des Dialogs und des Bildes - miteinander verweben. Daraus entstanden ist ein wunderbares Stück Kino.

Habale con ella (Sprich mit ihr)

Spanien 2002.Regie: Pedro Almodóvar.Mit Darío Grandinetti,Leonor Watling.Verleih: Tobis. 116 Min.

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