Chirurgische und andere Grenzen

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Pedro Almodóvar changiert seinem jüngsten Film "Die Haut, in der ich wohne“ einmal mehr zwischen Melodram, Surrealismus und absurdem Theater.

Der spanische Hexenmeister des Kinos hat der Welt mittlerweile allerlei Kino beschert, das zwischen Melodram, Surrealismus und absurdem Theater changiert. Kann es unter dieser Sonne noch wirklich etwas Neues geben? Es kann.

Pedro Almodóvar dreht in "Die Haut, in der ich wohne“ die cineastische Eskalationsschraube munter weiter. Opulente Leinwandkost, die es einem kalt über den Rücken laufen lässt - mit Antonio Banderas als hispanischem Dr. Frankenstein anno 2011 und einer großartigen Elena Anaya als Vera, welche die aktuelle, scheinbar sanfte Version des dereinst von Mary Shelley kreierten "Monsters“ darstellt.

Suche nach der perfekten Haut

Dr. Robert Ledgard (Banderas) ist ein begnadeter plastischer Chirurg, dessen Frau sich durch einen Autounfall entstellende Brandverletzungen zuzieht und die sich deswegen das Leben nimmt. In seinem Schmerz stellt Ledgard danach all seine Forscherkraft daraufhin ab, eine perfekte, auch gegen Feuer resistente menschliche Haut zu erschaffen. In seinem abgelegenen Privatlabor entwickelt er dieses revolutionäre Körperorgan und probiert es an Vera, seinem Versuchsobjekt, aus.

Doch wer ist diese junge Vera? Warum lässt sie das riskante wie makabre Experiment an sich geschehen? Und was hat das alles mit dem Verschwinden des jungen Vicente (Jan Cornet) zu tun, der wie vom Erdboden verschluckt ist? Um diese Fragen kreist Almodóvars Adaption des Romans "Mygale“ des französischen Schriftstellers Thierry Jonquet (1954-2009).

Selbstredend hält sich die spanische Regie-Ikone mit Nebenabsichten sowohl der Handlung als auch der Psychologie des Dramas nicht zurück. Eine "blutbefleckte“ Mutterfigur in Gestalt von Ledgards treuer Haushälterin Marilia (Marisa Paredes) gehört ebenso zum Setting wie deren Sohn Zeca (Roberto Álamo), der sich vorzugsweise in einem Tigerkostüm bewegt. Dazu gesellt sich noch Norma (Blanca Suárez), die depressive und selbstmordgefährdete Tochter des Doktors. Die wechselseitigen Verbindungen und Zerrissenheiten dieser Figuren und das - bar jeden Skrupels erscheinende - Handeln von Dr. Ledgard steigern sich bald Richtung Showdown.

Pedro Almodóvar hat wiederholt seine Anhänglichkeit an Alfred Hitchcock sowie Luis Buñuel betont. Gerade in "Die Haut, in der ich wohne“ schimmert das Œuvre des Erfinders des Suspense ebenso durch wie des Altmeisters des Surrealismus. Man darf sich also auf eine rabiate Kost einstellen, die aber weder an Üppigkeit noch an Anspielungen zu wünschen übrig lässt.

Darf der Mensch alles?

Die Komik, der sich Almodóvar einst etwa in seinen "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ bediente, wird hier aber zur blanken Fassungslosigkeit, das - dramaturgisch wie inszenatorisch - bestausgestattete Drama mündet nicht in eine befreiende Farce, sondern verweilt im subtilen Horror der Frage, wie weit Menschen bereit sind zu gehen, wenn sie fertig werden wollen mit unaufgearbeitetem Leid und dem Verlangen, das Trauma der Vergangenheit für alle Zukunft hintanzuhalten.

Hinter der absurden Konstellation, welche "Die Haut, in der ich wohne“ auf die Leinwand bannt, liegt uralte Menschheitsfrage: Darf der Mensch alles und kann er es auch? Und - wenn schon nicht über Leichen - über wie viel Körper ist er da bereit zu gehen?

Dr. Ledgard zeigt sich zur Grenzüberschreitung bereit, auch wenn es moralisch keineswegs zulässig scheint, sich an einem Körper so zu vergreifen, wie es der - zugegeben verzweifelte - Mediziner tut. Die Metaphern, derer sich Almodóvar in diesem Plot bedient, sind nicht subtil: Die zweite Haut, welche die Verbrennungen einer Seele überdecken oder gar hintanhalten könnte, gehört zu den geheimen Wunschträumen vieler Menschen. Aber - und das zeigt diese Konstellation brutal wie kaum zuvor: Diese Erlösung geschieht um einen Preis, der hoch ist. Viel zu hoch.

Spur des Totalitarismus

Die Geschichte nicht nur des 20. Jahrhunderts lehrt bekanntlich, dass allen möglichen Heilsversprechen nicht zu trauen ist. Diese Erkenntnis, anderswo aus unsagbarer Menschenverachtung und nach der Vernichtung von Millionen von Menschenleben gewonnen, hält auch Pedro Almodóvars jüngstes Opus bereit. Mag sein, dass eine surrealistische Überhöhung die Spur des Totalitarismus ein wenig vernebelt.

Aber Dr. Ledgard und sein Leid verdienen kein Mitleid. Zumindest nicht angesichts der Methode, auf die dieser Dr. Frankenstein oder gar Dr. Faust verfallen ist. Man weiß ja, wo letzterer gelandet ist. Ob die Hölle dann auch Qualort für den Zauberlehrling dieses aktuellen Kino-Opus ist? Alle Fragen, so viel sei verraten, will Almodóvar dann doch nicht eindeutig beantworten.

Die Haut, in der ich wohne (La piel que habito)

ESP 2011. Regie: Pedro Almodóvar. Mit Antonio Banderas,

Elena Anaya. Tobis. 125 Min.

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