Antonio Banderas in "Leid und Herrlichkeit" - Antonio Banderas in "Leid und Herrlichkeit"

Von erster Begierde an

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Ein Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs: Pedro Almodóvar ergötzt sich in „Leid und Herrlichkeit“ an der Late-Life-Crisis eines Filmemachers – nur bedingt ein Alter Ego des Meisters.

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Ein Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs: Pedro Almodóvar ergötzt sich in „Leid und Herrlichkeit“ an der Late-Life-Crisis eines Filmemachers – nur bedingt ein Alter Ego des Meisters.

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Wenn man, wie Spaniens Kultregisseur Pedro Almodóvar, auch schon in die Jahre gekommen ist – sprich: 69 Lenze zählt –,
dann scheint die Zeit für eine Autobiografie reif. Dass Meister Almodóvar selbige versucht und gleichzeitig alles Autobiografische in einem Film wie „Leid und Herrlichkeit“ verschleiert, gehört zum künstlerischen Stil, an den sich sein Publikum zwar längst gewöhnt hat, aber der bis zum heutigen Tag fasziniert. Und natürlich ist im Almodóvar-Kosmos Platz für Schauspieler von Penélope Cruz (die als hübsche Arme vom Lande am wenigsten glaubwürdig ist) bis zu Antonio Banderas (re.), der auch schon am Ende des sechstes Lebensjahrzehnts steht und der für seine Performance heuer in Cannes als Bester Hauptdarsteller
reüssieren konnte.
Banderas gibt den 60-jährigen Star-Regisseur Salvador Mallo, der in einer depressiven Phase seines Lebens und dazu noch bei allerlei schmerzhaften, wenn auch nicht lebensbedrohlichen Krankheiten angekommen ist. Er betäubt sich tagtäglich mit einer Handvoll zerstoßener Schmerzmittel, denn schlucken kann er auch nicht. Aber vor allem ist er von einer Schaffensblockade heimgesucht.

Ein überständiger Junkie

Erst als der Film „Sabor“, eines seiner Meisterwerke, restauriert und wiederaufgeführt werden soll, erwachen seine Lebensgeister. Vor allem nimmt Salvador Kontakt zu seinem damaligen Hauptdarsteller Alberto Crespo auf, mit dem er seinerzeit gebrochen hat. Der führt den matten Filmemacher in den Heroinkonsum ein (mit 60 fürwahr ein Alter, um damit zu beginnen!) und versucht, Salvador einen autobiografischen Text abzuluchsen. Das gelingt ihm auch, und bei der Aufführung des Monologs, den Alberto nicht unter Salvadors Namen auf eine Kellerbühne bringt, ist dessen einstiger Liebhaber Federico im Publikum, der kurz aus seiner neuen Heimat Argentinien in Madrid aufhältig ist.
Drei (oder vier) Zeitebenen, kunstvoll ineinander verschachtelt in bester Almodóvar-Manier, decken das Leben von Salavdor ab: Seine Kindheit im franquistisch-katholischen Spanien (die junge Mutter wird von Penélope Cruz dargestellt), dann das wild-hedonistische Madrid der ersten Nach-Franco-Jahre, in das Salvador in der Begegnung mit seinem damaligen Lover Federico wieder eintaucht. Und dann die triste Gegenwart, aus der sich der alternde Künstler befreien will und muss. Dazu – einige Jahre zuvor angesiedelt – die Begegnung mit der alten und todkranken Mutter (großartig: Julieta Serrano), die ihren Sohn nie losgelassen hat, auch wenn der weit weg ihm Sündenpfuhl Madrid seine unstetes Leben führte.
Da sind sie wieder, die Ingredienzien eines perfekten Almodóvar-Films: die katholische Enge, die den Filmemacher von Jugend an umtreibt (der kleine Salvador muss in „Leid und Herrlichkeit“ ein Knabenseminar, also eine Priesterausbildungsstätte für Kinder besuchen, denn die Eltern hätten sich keine Ausbildung für den aufgeweckten Kleinen leisten können). Dann die unaufgearbeitete, von Schuldgefühlen bis zum Tod beladene Mutterbeziehung. Und schließlich die subtile bis offene (Homo)-Erotik, der sich Almodóvar Zeit seines Schaffens verpflichtet weiß. Als der alte und kranke Filmemacher wieder zu schreiben beginnt, geht es um die „erste Begierde“, eine Erinnerung des Knaben Salvador, als er den jungen, gut gebauten Maurer, der die Behausung seiner Familie verfliest, erstmals nackt sieht und darob ins Fieber fällt.

Preisgabe – und doch wieder nicht

Der Zuschauer weiß, dass diese „Autobiografie“ natürlich in der Konkretion (etwa in der späten Heroinsucht des Protagonisten) durch und durch Fiktion ist. Aber er weiß auch, dass das Begehren, der Schmerz (wie viel besser wäre der in den deutschen Titel gewandert und nicht „Leid“) und die Kraft zum Schreiben ein Dreieck darstellen, auf dem sich eine (Film-)Kunst ausbreiten kann, die immer noch ihresgleichen sucht.
Wer erfahren will, was diesen Ausnahmekünstler umtreibt, der kann an „Leid und Herrlichkeit“ nicht vorbeigehen. Almodóvar gibt von sich wahrlich viel preis, auch wenn das meiste im Film eben nicht im strengen Wortsinn „autobiografisch“ verstanden werden sollte.

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