Smaller is beautiful

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Die britische Qualitätszeitung "The Independent" veränderte ihr Forma - und gewann so viele neue Leser.

Im Grunde begann alles mit Zahnpasta. Simon Kellner, der Chefredakteur der linksliberalen englischen Tageszeitung "The Independent" stand vor einem Supermarkt-Regal, als ihm ein Geistesblitz kam: Wenn der Kunde bei Zahnpasta die Wahl zwischen verschiedenen Verpackungsgrößen hat, warum sollte er sich nicht für unterschiedliche Zeitungsformate entscheiden können? Der Journalist dachte dabei nicht allein in ästhetischen, sondern auch in finanziellen Kategorien. Der Independent - von den Lesern "Indie" genannt - ist die kleinste der fünf britischen Qualitätszeitungen. 2003 verkaufte er 218.000, die Times 620.000, der konservative Daily Telegraph 960.000 - und das Boulevardblatt The Sun sogar 3,5 Millionen Zeitungen pro Tag.

1986 sah die Welt noch anders aus, als drei Ex-Daily Telegraph-Redakteure den Independent ins Leben riefen. Sie mischten die von Medienmogul Robert Murdoch dominierte Zeitungslandschaft mit kritischem Journalismus auf - und erreichten 1989 eine Auflage von 420.000 Exemplaren. Nach einer Finanzkrise übernahm der Ire Tony O'Reilly Mitte der 1990er Jahre das Blatt und setzte Kellner an die Spitze der Redaktion. Doch auch er konnte den wirtschaftlichen Niedergang zunächst nicht stoppen. Ende 1998 bewegte sich die Auflage bei 100.000 Stück. Die Auflage erholte sich zwar langsam, doch bis März 2004 machte das Blatt einen jährlichen Verlust von rund fünf Millionen Pfund.

Format als Knackpunkt

Als Kellner die Redaktion mit seiner Vision konfrontierte, reagierte sie positiv, erinnert sich Kevin Bayliss, der als Art Director des Independent den Format-Wechsel gestaltete. Eine kleine Hemmschwelle galt es allerdings zu überwinden. Das Format steht in England für unterschiedliche Niveaus. Qualitätsblätter sind breit, Boulevardzeitungen, "Tabloids" genannt, klein und quadratisch. Deshalb sprach die Redaktion lieber vom "Compact" als vom Tabloid-Format. Im September 2003 begann die Testphase mit zwei Formaten pro Tag - beide zum gleichen Preis (Bild unten). Inhaltlich unterschieden sie sich nicht, die Texte aus der großen Ausgabe wurden nur verkleinert, so Bayliss. Drei Monate wurde getestet-mit Erfolg für die Redaktion. Gleich am ersten Tag ging das Compact-Produkt 30.000 Mal über den Ladentisch. In den Folgemonaten verkaufte sich die verkleinerte 80-seitige besser als die große 40-seitige Ausgabe. 90 Prozent der Leser entschieden sich schließlich für das neue Format. "Wir haben bis heute 13 Prozent neue Leser hinzugewonnen. Interessanterweise meistens Frauen, die das kleinere Blatt besser halten können", sagt Bayliss. Der Qualitätsanspruch wurde beibehalten: "Eine Zeitung, die nur Kurzmeldungen enthält, ermüdet den Leser. Wir halten daher auch in Zukunft an längeren Hintergrundberichten fest"

Beispielgebend für Europa

Der Aufwärtstrend beim Independent ist in den Augen des deutschen Zeitungsdesigners und Jury-Mitglieds des "European Newspaper Award", Norbert Küpper, ein ermutigendes Zeichen für die Entwicklung von leserfreundlichen Zeitungen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Ein neues Design bedeutet meist bessere Lesbarkeit, Handlichkeit und Übersichtlichkeit. Das Interesse am Tabloid sei ein europaweiter Trend. In Österreich bereits gängig, erwartet er in Deutschland nur bei Regional-, nicht aber bei überregionalen Zeitungen einen Wechsel. Auch der internationale Mediendesign-Star Mario Garcia sieht die Indie-Umstellung als Zukunftsmodell, weil kleinere Zeitungen mit farbigen Bildern Internet-gewöhnten Lesern entgegenkämen. Und auch auf der grünen Insel gab es Lob: Auszeichnung des "Indie" als "Newspaper of the Year" 2004.

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