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"Martha ... Martha": Menschen trösten sich und finden keinen Trost. Sie lieben sich und finden keine Liebe. Sie retten sich und finden trotzdem keine Rettung.

Das ist nicht fair! "Martha ... Martha" steuert von Beginn an auf die Katastrophe zu. Doch mit jeder Einstellung, die diesen Verdacht mehr und mehr zur Gewissheit werden lässt, wächst auch die Hoffnung, dass es sich doch noch ausgehen könnte. Das Glück scheint immer wieder greifbar, der Boden unter den Füßen verspricht zu tragen und entzieht sich doch in dem Moment, in dem das Ärgste bereits überstanden geglaubt ist.

Martha und Maria, die klassische biblische Konstellation erfährt in Sandrine Veyssets Film eine eindrucksvolle Aktualisierung, die in der Verteilung der Rollen zwischen den beiden Schwestern dem Vorbild treu bleibt. Auch hier hat Maria das Bessere gewählt. Wobei nie ganz klar ist, worin dieses Bessere besteht, was aus dem Teil der Martha den Schlechteren macht, warum allein der Name Martha von der ersten Szene des Films an bereits so weh tut, dass er selbst für Marthas Mutter unaussprechlich ist. Unaussprechliches muss vor dem Moment passiert sein, von dem an der Film die Geschichte erzählt. Unaussprechliches passiert in dem Moment, in dem der Film die Geschichte wieder verlässt. Dazwischen trösten sich Menschen und finden keinen Trost. Dazwischen lieben sich Menschen und finden keine Liebe. Dazwischen retten sich Menschen und finden trotzdem keine Rettung.

Marthas Geschichte hat Sandrine Veysset in einem Café in der Nähe ihrer Wohnung aufgeschnappt. Der Wirt hat sie dort zwei Gästen erzählt, und die französische Regisseurin war überwältigt davon. Veyssets filmische Nacherzählung überwältigt auch. Nicht nur die Juroren verschiedener Film-Festivals, die "Martha ... Martha" unter anderem letztes Jahr in Cannes ausgezeichnet haben. Denn paradoxerweise gewinnt der Film gerade durch seine Undeutlichkeit an Schärfe. Vieles wird nur angedeutet, ist nur kurz zu sehen, bleibt im Hintergrund. Ein hastiger Blick, ein schnell hingesagtes Wort, ein flüchtiger Gedanke - worin sich der wahre Grund für Marthas Abdriften erahnen lässt.

Denn das Groschen-Zählen-Müssen, das Herumtingeln von einem Flohmarkt zum anderen, das erbärmliche Loch, in dem sie und ihr Kind und ihr Mann hausen, kann nicht wirklich die Ursache für die Katastrophe sein. Ihre Armut könnte die Liebe auffangen, ihre Verzweiflung nicht. Diese Andeutung auf die Handlung soll genügen. Denn der Film lebt nicht von der Handlung, dieser Film handelt vom Leben, lebt von Personen, die er für wenige Wochen verfolgt.

"Martha ... Martha", der Filmtitel könnte nicht besser gewählt sein. Martha steht am Anfang, Martha steht am Schluss. Dazwischen drei Punkte, die jeder für sich ein Ende markieren, zusammen aber auch als ein ein Und-so-weiter gelesen werden können, und das zweite Martha somit auch wieder einen Anfang darstellen kann. Aber diese Interpretation bestätigt wohl wieder nur, was Sandrine Veysset in einem Interview zu ihrem Film sagte: "Unser Bedürfnis nach Trost ist unersättlich."

Martha ... Martha. Frankreich 2001. Regie: Sandrine Veysset. Mit Valérie Donzelli, Yann Goven, Lucie Régnier, Polyfilm Verleih. 97 Minuten.

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