Um die Fahne scharen

Werbung
Werbung
Werbung

In nationalen Krisenzeiten verfällt die Presse der Selbstzensur: Uri Avnery, Andrej Babitskij und Migjeni Kelmedi berichteten Einschlägiges aus ihren Ländern.

Die Pressefreiheit ist ein weltweiter Kampf, nirgendwo auf der Welt ist sie gesichert", so Uri Avnery bei einer hochkarätig besetzten Diskussionsrunde im Bruno-Kreisky-Forum anlässlich des Internationalen Tages der Pressefreiheit am 3. Mai. Allein die Ereignisse der vergangenen Woche bestätigen die Meinung des bekannten israelischen Journalisten und Friedensaktivisten: In Italien ist die Präsidentin der RAI, Lucia Annunziata zurückgetreten, nachdem mehrere Managerposten in Tochtergesellschaften des staatlichen Fernsehens mit Vertrauensleuten von Ministerpräsident Silvio Berlusconi besetzt wurden. In Kroatien protestieren Journalisten gegen eine seit 1. Mai in Kraft getretene Gesetzesänderung, wonach ein Gericht die Preisgabe ihrer Quelle anordnen kann. Und ein preisgekrönter polnischer Kriegskorrespondent und sein Mitarbeiter wurden im Irak von Unbekannten erschossen.

Weltweit: Vom Irak, Israel...

Nach Angaben von "Reporter ohne Grenzen" wurden seit Jahresbeginn im Irak bereits zwölf Journalisten und Mitarbeiter von Medien getötet. 2003 starben laut Jahresbericht der Organisation weltweit 42 Journalisten, 766 wurden zu Unrecht inhaftiert und 1.460 physisch angegriffen oder bedroht.

Eine Gefahr für Leib und Leben ist auch die Berichterstattung aus den besetzten Gebieten, sagt Uri Avnery. Aber der Träger des alternativen Nobelpreises sieht eine ganz andere Bedrohung für die Pressefreiheit, und zwar durch die Presse selbst. "In Israel ist die Presse gleichgeschaltet. Sie hören überall dasselbe. Die israelischen Medien benutzen dieselbe Sprache und dieselben Termini."

Diese Gefahr der Selbstzensur bestehe für jede Demokratie, wenn das Land sich in einem Notzustand befindet. Es ist das Phänomen des "rally-round-the-flag": Angesichts eines nationalen Ausnahmenzustands schart sich die Mehrheit der Öffentlichkeit um die eigene "Fahne". Dissidente Meinungen geraten in diesem patriotisch aufgeheizten Klima allzu leicht in den Verdacht des "Landesverrats". Uri Avnery selbst hat als scharfer Kritiker der israelischen Besatzungspolitik die Erfahrung gemacht, dass nicht alle seine Artikel in Israel veröffentlicht werden. Als Ausweg hat er das Internet gewählt, wo er regelmäßig seine Beiträge publiziert (www. uri-avnery.de, www.avnery-news. co.il).

Auch die liberale israelische Tageszeitung Haaretz sei von dieser konformistischen Tendenz nicht ausgenommen. Zwar druckt Haaretz auch Artikel über die Probleme der Palästinenser, entscheidend jedoch sei die tagesaktuelle Berichterstattung. "Bei Artikeln sind die Leser misstrauisch, weil klar ist, dass der Autor sie überzeugen will", argumentiert Avnery. Nachrichten hingegen werden kritiklos gelesen, da sie mit der Aura des Objektiven umgeben sind. Und in der Berichterstattung sei Haaretz leider nicht verschieden. "Die Art, wie berichtet wird, welche Worte benutzt und welche Ereignisse überhaupt ausgewählt werden, prägen die Sichtweise." Avnery beschwert sich, dass die Aktionen seiner Friedensbewegung "Gush Shalom" (israelischer Friedensblock) kaum Niederschlag in der Presse finden, weder in Israel noch im Westen. "Damit wird es zu einem NichtEreignis. Aber jede noch so kleine Demonstration der Rechten wird groß hervorgehoben."

... bis Russland, Kosovo

Ähnliches berichtete der ebenfalls im Kreisky-Forum anwesende russische Journalist Andrej Babitskij. Unter Wladimir Putin, der am Freitag offiziell seine zweite Amtszeit antrat, findet keine Diskussion über den Tschetschenienkrieg statt. "Zwar herrscht in Russland ein bestimmtes Maß an Meinungsfreiheit, vor allem was Wirtschaftsthemen betrifft. Aber Pressefreiheit im wahren Sinne des Wortes gibt es nicht." Und der albanisch-kosovarische Journalist Migjeni Kelmendi versucht mit seiner Zeitschrift Java (Die Woche), Probleme anzusprechen, die ansonsten verschwiegen werden. Vor allem die Frage nach der Identität des Kosovo greift er nach den gewalttätigen Ereignissen im März dieses Jahres immer wieder auf.

"Die Journalisten haben die Pflicht, dem Publikum das zu erzählen, was es nicht hören will," so Avnery: egal ob über die israelische Besatzung, die Verbrechen der russischen Armee in Tschetschenien oder den multiethnischen Charakter des Kosovo.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung