Vorurteile bestätigt

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Es war eine Art Reflex. Ein unwiderstehlicher Impuls, die Fernbedienung zu betätigen. Niemals, das schwöre ich, ist es mir gelungen, Vera länger als zwei, drei Sekunden zu ertragen. Der Instinkt war einfach stärker als die Neugier. Elf Jahre lang - bis vorige Woche. Ich habe mir den letzten Sport am Montag und den letzten Seniorenclub angeschaut. Warum also nicht auch Vera, wenn diese viel gesehene und zugleich viel kritisierte orf-Sendung zum letzten Mal über den Bildschirm flimmert?

Das Fazit: Alle Vorurteile wurden voll und ganz bestätigt. Wenn diese letzte Ausgabe repräsentativ war, dann war Vera ein echter Sündenfall des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in diesem Land. Einziger Zweck der Sendung war offenbar das Ergötzen an menschlichem Leid, am vermeintlichen Privatleben Prominenter, an Sensationen aller Art. Moderatorin Vera Russwurm und die nach ihr benannte Sendung blieben stets an der Oberfläche, nie ging es auch nur ein Stückchen in die Tiefe. Reflexion oder kritisches Nachfragen? Ach woher. Hauptsache, alles glänzt und strahlt - so wie das Lächeln von Frau Russwurm. Die Sendung wurde übrigens von einer Zahnpastafirma gesponsert.

"Strahlend" war auch das Lieblingswort im Gespräch mit Boulevard-Liebling Karl-Heinz Grasser. Dass der Finanzminister dieser Republik im orf erzählen darf, wie lieb er seine Frau hat ("... und die Hunde"), ohne zum Beispiel mit einer Frage zu dieser fragwürdigen Selbstinszenierung konfrontiert zu werden, ist eine Schande. Auf diesem Niveau wurde sogar eine wirklich ernste Sache, nämlich das Gedankenjahr, abgehandelt: Ein komplexes Thema wurde auf zwei nette alte Damen reduziert, Trümmerfrauen, die von den harten Nachkriegsjahren erzählten. Nazi-Opfer oder Widerstandskämpfer erhielten natürlich kein Podium. Da könnte ja jemand ins Nachdenken geraten ... Michael Kraßnitzer

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