Sommergaeste - szene - © Foto: Philine Hofmann

Eine Glitzer-Gesellschaft auf der Suche nach Glück

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Maxim Gorkis „Sommergäste“ im Theater in der Josefstadt.

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Maxim Gorkis „Sommergäste“ im Theater in der Josefstadt.

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Es regnet. Wie Spatzen sitzen die Sommergäste auf der Bühne des Theaters in der Josefstadt und besingen den Niederschlag, der ihnen den Sonnentag verdirbt. Wie es bei Maxim Gorki schon 1904 heißt: „Sommerfrischler. Sie tauchen auf, leben eine Zeitlang, verschwinden dann und hinterlassen Papierschnitzel, Scherben, Überbleibsel.“ Elmar Goerden hat Maxim Gorkis „Sommergäste“ radikal in die Gegenwart geholt: Eine wohlstandsverwahrloste Gesellschaft in teuren Kleidern und bunten Badekostümen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Goerden zeigt Menschen, die an dem leiden, was sie haben: Olga (Susa Meyer) liebt ihren Mann und die vier Kinder. Trotz deklarierter Gleichberechtigung ist sie es, die die Verantwortung für die Familie übernimmt, für alle sorgt. Nach Lebenslust und Abenteuer sehnt sie sich: „Ich will rumknutschen und Gruppensex“, bleibt aber vernünftig und vergnügt sich mit ihrem Mann, während der Rest der Sommerfrischler neidvoll auf sie blickt. Alle, außer Juljia, todunglücklich in ihrer Ehe mit dem selbstverliebten Ingenieur Suslow (Günter Franzmeier), die ihn mit ihren Affären provoziert. Dann ist da noch die alleinerziehende Ärztin Marja (Martina Stilp), deren adoleszente Tochter Sonja ein binäres Menschenbild verweigert, sich im geschlechtlichen Dazwischen mit neuem Namen Alex sieht und streng vegan ernährt. Katharina Klar spielt sie (oder besser: ihn) lebensverneinend und griesgrämig, der Elterngeneration mit größtem Vorwurf begegnend. Zu Recht, möchte man meinen, denn hier sind ausnahmslos Egoisten unterwegs. Nur zwischen ihr und Marja kommt es zu einer echten Auseinandersetzung und damit auch zu den gelungensten Szenen des Abends. Offen konfrontiert Sonja/Alex ihre Mutter mit deren Interessen, Misstrauen und Ängsten. Doch es wird noch bis zum Ende der dreistündigen Inszenierung dauern, bis Marja ihre Zuneigung zu dem viel jüngeren Wlas zugibt, Selbstschutz und gesellschaftliche Normen beherrschen ihr Handeln. Claudius von Stolzmann spielt ihn als geradezu hysterisch lebenslustigen Mann, der ständig sein Outfit wechselt, ein bunter Vogel, dem es an Orientierung fehlt. Im Zentrum steht seine Schwester Warwara, die Alexandra Krismer als mondäne, klarsichtige Frau gibt, die in den Sommerunternehmungen ihres Mannes (Michael Dangl als Rechtsanwalt Bassow) und der Gäste nur leere Zerstreuung erkennt. Radikal muss sich diese untergehende Gesellschaft ändern, weiß sie und hofft, dass die Ankunft des Schriftstellers Schalimow (Ulrich Reinthaller) die Lage ändert. Aber er erweist sich als selbstmitleidiger Künstler, der – wie alle hier – im Außen und bei den anderen sein Glück sucht. Trotz so mancher Länge sieht man gerne zu, wie diese bunte Truppe um jede Form von Lebensfreude ringt. Viel Applaus.

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