Rammstein - © Foto: Sergei Mutovkin

Rammstein-Konzerte in Wien: Abwarten statt vorverurteilen

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"Auch wenn derzeit wohl jedes feministische Herz blutet, aber Rammstein muss in Wien auftreten dürfen", schreibt Politik-Redakteurin Brigitte Quint in unserer neuen Rubrik "Lass uns streiten".

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"Auch wenn derzeit wohl jedes feministische Herz blutet, aber Rammstein muss in Wien auftreten dürfen", schreibt Politik-Redakteurin Brigitte Quint in unserer neuen Rubrik "Lass uns streiten".

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Ich fürchte, ja. Was wissen wir gegenwärtig? Es gibt schwere Vorwürfe gegen Till Lindemann, Frontmann der deutschen Metal-Band. Mehrere Frauen haben ausgesagt, sie seien bei Konzerten ausgewählt worden, um Sex mit Lindemann zu haben. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft Berlin Ermittlungen wegen sexueller Übergriffe und Drogenvergehen eingeleitet. Lindemann hat nicht gestanden, sondern bestreitet die Vorwürfe.

Daher: Der Artikel 6 Absatz 2 der Menschenrechtskonvention besagt, dass jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig zu gelten hat. Mögen die Aussagen der mutmaßlichen Opfer noch so plausibel gelten, mögen sich noch so viele Zeugen medial zu Wort melden, möge Lindemanns Praxis noch so ein offenes Geheimnis gewesen sein – keine Richterin, kein Richter hat ihn bislang offiziell verurteilt. Der Satz „Es gilt die Unschuldsvermutung“ darf nicht zu einer Floskel verkommen, er ist eine, wenn nicht die tragende Säule unseres Rechtssystems. Die aktuelle Debatte rund um die Causa Rammstein offenbart, dass diese Maxime Gefahr läuft, zugunsten eines anderen Prinzips – nämlich jenes der Öffentlichkeit – verdrängt zu werden. Der Schutz vor Vorverurteilung und gesellschaftlicher Ächtung ist damit nicht mehr gegeben. Das wiederum erschwert ein faires Verfahren, das zwingend eine sachgerechte Verteidigung beinhaltet. Auf Rammsteins Auftritt in Wienumgemünzt: Man stelle sich vor, das Konzert würde aufgrund des Druckes der Öffentlichkeit abgesagt werden, und Till Lindemann erhielte , aus welchen Gründen auch immer, am Ende einen Freispruch – die Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaat wäre nachhaltig kontaminiert.

So weh es einem persönlich auch tun mag, dass Rammstein weiter ungehindert seine Tour absolvieren darf und damit Millionen kassiert – so notwendig ist es, die (oft langsamen) Mühlen der Justiz mahlen zu lassen. Ein moralisch wichtiges Zeichen wurde dafür zu Recht gesetzt: Wie in München oder Bern soll es auch in Wien keine Row Zero und keine Pre- und After-Show-Partys geben. Auch wenn derzeit wohl jedes feministische Herz blutet, aber Rammstein muss in Wien auftreten dürfen.

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