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Ärztekarussell mit Absichten

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Die Gesundheits- und Personalpolitik der Wiener Gebietskrankenkasse geht mitunter seltsame Wege. So ist es ihr gelungen, in den letzten drei Monaten drei ihrer Kinderambulatorien zu ruinieren.

Im einzelnen: Die Kinder-fachärztin des Ambulatoriums in der Possingergasse im 16. Wiener Gemeindebezirk ging im Frühjahr 1984 in Pension. Für Ersatz wurde vom Eigentümer und Betreiber, der Wiener Gebietskrankenkasse, nicht vorgesorgt. Das Ambulatorium Possingergasse ist daher sei Ende März geschlossen.

Ende April dieses Jahres wird dann der Kinderfacharzt Ferdinand Sator, tätig im Ambulatorium Wien-Floridsdorf, gekündigt. Angeblich deshalb, weil er seinen Arbeitsplatz eine halbe Stunde vor Ende der Dienstzeit verlassen haben soll.

Tatsächlich war Sator, der gleichzeitig Konsiliararzt im Korneuburger Krankenhaus ist, zu einem Kaiserschnitt geeilt. Für den Personalchef der Wiener Gebietskrankenkasse, Werner We-clay, wäre es ein leichtes, die Rechtfertigungsgründe von Sator zu überprüfen. Doch Weclay bleibt dabei: „Sator ging während der Dienstzeit spazieren."

Das durch die Kündigung von Sator entstandene personelle Loch im Floridsdorfer Ambulatorium sollte nun die Kinderfach-ärztin Christine Flamm schließen. Das Ambulatorium in der Schulerstraße in Wien-Innere Stadt verliert dadurch seine Ärztin und muß die Tore schließen.

Damit noch nicht genug: Plötzlich wird Flamm umdirigiert. Sie soll künftig nicht in Floridsdorf arbeiten (dort vertritt den gekündigten Sator mittlerweile ein pensionierter Arzt). Die bislang in der Schulerstraße tätige Kinderärztin wird in das seit Wochen gesperrte Ambulatorium in die Possingergasse beordert, wo sich die Eltern mit kranken Kindern bereits verlaufen haben und ihre Krankenscheine seit Anfang April woanders hintragen.

Die Rechnung haben die Manager der Gebietskrankenkasse aber wieder einmal ohne die betroffenen Eltern gemacht. Immerhin haben sich die City-Eltern schon zweimal - 1979 und 1981 -mit Erfolg gegen die beabsichtigte Schließung „ihres" Kinderambulatoriums zur Wehr gesetzt.

Aus dem klammheimlichen Zusperren des Ambulatoriums wurde auch diesmal nichts. Die betroffenen Eltern machten mobil und alarmierten Öffentlichkeit und Politiker.

Eine überparteiliche Elterninitiative lud am 27. Juni den Gebietskrankenkassen-Boß Otmar Pascher zu einer öffentlichen Diskussion und Aussprache.

Die Eltern vertraten gegenüber Pascher die Forderung, er möge doch die Ärztin der Schulerstraße, Christine Flamm, an ihrem alten Platz weiterarbeiten lassen. Eine Ärztin, die das Vertrauen (und die Krankengeschichten) von 800 kleinen Patienten besitze, dürfe doch nicht mitten in einem Versicherungsquartal ohne jede Vorwarnung abgezogen werden.

Die Bezirksvertretung Innere Stadt schloß sich mit einer Vier-Parteien-Resolution dem Elternprotest an und wirft sich für den Verbleib der Kinderärztin in der Schulerstraße in die Bresche.

Die ÖVP-Stadträtin Maria Hampel-Fuchs ringt um die gütliche Beilegung des Streits ums Ambulatorium. Auch Leute, die ansonsten gern den freien Ärztestand beschwören, kämpfen im Fall Schulerstraße für den Weiterbestand des Ambulatoriums.

Der Katholische Familienverband erklärt sich gleichfalls solidarisch: „Die medizinische Nahversorgung gerade für Kinder darf keinem administrativen Kalkül geopfert werden. Wir unterstützen vollinhaltlich die Elternforderung nach Weiterführung der kinderfachärztlichen Betreuung im Ambulatorium Schulerstraße."

Doch auch angesichts dieser zahlreichen Unterstützungserklärungen für die Elterninitiative blieb Krankenkassenchef Pascher — zumindest in der Diskussion mit den Eltern — bei seinem strikten Nein. Pascher garnierte seine ablehnende Haltung mit starken Sprüchen. Einen betroffenen Vater, armenischer Abstammung, herrschte er an: „Lernen Sie zunächst einmal Deutsch!"

Die VP-Stadträtin Hampel-Fuchs zeigte sich nach Ende der Diskussion mit Pascher betroffen, nachdem sie zwei Stunden lang zugesehen hatte, „wie hier Bürger ohnmächtig ihre Rechte verteidigten". Hampel-Fuchs appellierte an Pascher, sich um eine angemessene Lösung zu bemühen.

Die Sorge der Eltern bleibt bestehen, daß die eingangs beschriebenen Personalrochaden letztendlich die erklärte Absicht der Gebietskrankenkasse verstecken sollen, alle kleinen, nachbarschaftlichen Ambulatorien zu schließen.

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