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Wiener Bürokratenk(l)asse

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In der Wiener Innenstadt gibt es keinen einzigen Kassen- Kinderfacharzt. Jetzt soll auch das Kinderambulatorium gesperrt werden. Eltern laufen gegen diese A bsicht der Wiener Gebietskrankenkasse Sturm: Sie zweifeln an der sozialen Gesinnung der Bürokratenklasse.

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In der Wiener Innenstadt gibt es keinen einzigen Kassen- Kinderfacharzt. Jetzt soll auch das Kinderambulatorium gesperrt werden. Eltern laufen gegen diese A bsicht der Wiener Gebietskrankenkasse Sturm: Sie zweifeln an der sozialen Gesinnung der Bürokratenklasse.

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Der Wiener Gebietskrankenkasse (WGK) stehen heiße Zeiten ins Haus: Eine beachtliche Schar junger Eltern der Wiener Innenstadt hat mit Protestaktionen gegen die Schließung des Kinderambulatoriums in der Schülerstraße 14, nahe der FURCHE-Redak- tion, begonnen und damit möglicherweise eine generelle Gesinnungskrise der Kassenbürokraten aufgedeckt: Wird dort noch sozial gedacht?

Begonnen hat es 1979, im Jahr des Kindes, als unter dem damaligen Obmann, Bautenminister Karl Sekanina, das Ambulatorium Schulerstraße gesperrt werden sollte. Dagegen wurden über 1000 Unterschriften gesammelt, ein Protestmarsch der aufgebrachten Eltern, der so lang wie die Wollzeile war, konnte vorerst das Ärgste verhindern. Die Gebietskrankenkasse, vorher fürs Schließen, war plötzlich wieder fürs Offenhalten.

Der (Hinter-)Grund dieses Wankelmuts: Die Demonstration erfolgte unmittelbar vor den Nationalratswahlen 1979. Man fürchtete, Wähler zu vergraulen.

Zwei Jahre nach diesem Wahlmanöver, im April 1981, hat man keine Bedenken, wieder zur ursprünglichen Absicht zurückzukehren: Es wird von definitiver Schließung gesprochen.

Der am 27. April beim Sekanina- Nachfolger, Obmann Florian Mück, vorstellig gewordenen Elternabordnung gegenüber wird auch gar nicht geleugnet, daß der einzige Kinderfacharzt des ersten Wiener Bezirks, der des Ambulatoriums, endgültig entfernt werden soll. Obwohl dieser nachweislich mehr als 1000 Kinder in über 5000 Krankheitsfällen pro Jahr betreut, soll sein Posten und der von zwei beliebten und überaus fähigen Kinderschwestern demnächst liquidiert werden.

Für über tausend Kinder (und dabei wächst die Geburtenrate endlich wieder) fiele damit die ärztliche Versorgung weg: Es gibt in der Wiener Innenstadt (und auch im Umkreis des Ringes)sonst keinen einzigen Kassen-Kinderfach- arzt. Das gleiche Schicksal blüht demnächst den Kinderambulatorien im 14., 21. und 23. Wiener Gemeindebezirk, für die das Argument der „Unrentabilität“ infolge noch größerer Auslastung gewiß noch weniger gilt.

Mit dem Argument der „Unrentabilität“ getraut sich die sozialen Gesichtspunkten verpflichtete Körperschaft allerdings nicht offen zu operieren. An erster Stelle wird vielmehr ein anderer Schließungsgrund vorgeschoben. Es wären trotz intensiver Suche keine Kinderfachärzte zu finden.

Den betroffenen Eltern will dieses Argument bei gleichzeitig beklagter Medizinerschwemme nicht einleuchten. Eher wird dahinter die Absicht des

„Aushungern-Wollens“ vermutet. Die Bedingungen für voll ausgebildete Fachärzte (11.000 Schilling pro Monat bei gleichzeitigem Verbot einer eigenen Ordination) sind aber natürlich für willige Ärzte und Ärztinnen unattraktiv.

Der Eindruck: Nach den guten, jungen Ärzten sollen nun allmählich auch die Patienten aus den Ambulatorien vertrieben werden. In der Schülerstraße wurde seit Jahren nichts mehr investiert, die wunderbaren Räume der ehemaligen Orthopädie samt Turnsaal stehen leer; derzeit hält eine liebenswerte 75jährige (!) Medizinalrätin die Stellung.

Natürlich wissen auch die Eltern, daß die Gebietskrankenkasse mit jährlich wachsenden Verlusten kämpft. 1980 betrug der Abgang 400 Millionen Schilling. Daß da massiv gespart werden muß, wird verstanden. Nur macht eben das Wo und das Wie des Sparens stutzig: Während gleichzeitig im 7. Wiener Bezirk ein mächtiger neuer Verwaltungsneubau entsteht, werden die unmittelbar der Bevölkerung dienlichen Leistungen reduziert. So wurden innerhalb weniger Jahre an die acht nachbarschaftliche Klein-Ambulatorien dem Neubau eines periferen Wiener Großämbulatoriums Süd geopfert.

Dieses optische Mißverhältnis - hier Reduzierung des Serviceangebots, dort neue Büros -, das macht bei den Beitragszahlern böses Blut: Die Manager und Angestellten der Gebietskrankenkasse werden sehr bald in freundlichen Räumen amtieren, die Sozialeinrichtungen aber, darunter die Ambulatorien, die einmal zu den sozialsten der Welt gehörten, werden demontiert.

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