6962102-1984_51_05.jpg
Digital In Arbeit

Aktion statt Resignation

Werbung
Werbung
Werbung

Als wir von der Ö3-Kummer-nummer vor knapp zwei Monaten ein Treffen für Selbsthilfegruppen veranstalteten, hatten wir vorher eher die Angst, daß sich nur wenige Gruppen im Foyer des Wiener Künstlerhauses verlieren würden. Aber es kam anders.

Allein aus dem Wiener Raum meldeten sich rund 80 Gruppen, von der „Cooperative FahrRad" über die „Initiative Pflegemütter" bis zu „AhA"(Arbeitslose helfen Arbeitslosen). Dazwischen waren Gruppen von Leuten, die unter bestimmten Krankheiten

leiden — von Krebs über Alkoholismus bis zu Morbus Bechterew.

Das Land der Selbsthilfe schlechthin sind aber wohl die USA. Selbsthilfe, auch wenn es einem noch so dreckig geht, paßt zur staatstragenden Ideologie. Da führt die Eigeninitiative des Tüchtigen zu Reichtum, Glück und Stärke und Eigeninitiative des Kranken zumindest zu Gesundung.

In den USA gibt es dementsprechend eine hohe Bereitschaft auf privater Seite, solche Versuche finanziell zu fördern. Das wird zumindest behauptet.

Auch in Osterreich spricht man schon von einer „Selbsthilfegruppen-Bewegung". Dieser Begriff unterstellt allerdings, die verschiedenen Selbsthilfegruppen hätten eine gleiche Grundtendenz.

Das entspricht aber nicht der Realität. Im Gegenteil: Es gibt kaum Heterogeneres als zum Beispiel jene Gruppe von Menschen, die sich im Wiener Künstlerhaus getroffen hat. Nur eines ist ihnen gemeinsam: Sie alle haben ein Problem, das sie selbst lösen wollen. Und noch etwas: die Erfahrung, die jeder macht, wenn er mit herrschenden Gruppen oder auch bloß herrschenden Lehrern in Konflikt kommt.

Profi-Sozialarbeiter wissen vieles solange besser, solange sie nicht selbst eine „Selbsthilfegruppe" initiieren; Gemeinden, solange sie nicht bemerken, daß das, was von ihnen geplant wird, ohne die Initiative der Bürger nicht belebt werden kann. Oder Arzte: solange sie sich selbst mit Mechanikern vergleichen, die das „Patientengut" bloß recht oder schlecht reparieren wollen.

Gerade im medizinischen Bereich sind aber verschiedene Selbsthilfegruppen zur von Ärzten geförderten Notwendigkeit geworden. Die Erkenntnis, daß selbst die bestausgestattete Klinik nicht helfen kann, wenn Patienten nicht selbst ihre Nachbetreuung mitorganisieren, ist weit verbreitet.

In Wien wetteifern inzwischen Gemeinde und Oppositionspartei, wer besser Selbsthilfegruppen fördern kann. Das Wort „Nachbarschaftshilfe" hat Hochkonjunktur. So oft man dieses Wort liest, könnte man auch unterstellen, es sei da etwas im Gange, das weniger mit Sozialpolitik zu tun hat als vielmehr mit Sozialabbau.

In Oberösterreich wurde ein „Jahr der Nachbarschaft" erfolgreich abgehalten, und auch die Bundes-ÖVP spricht immer öfter davon. Selbsthilfe, wird argumentiert, sei nicht nur effizienter, sondern auch billiger als viele Sozialeinrichtungen.

Aber dabei wird nicht erkannt, daß Selbsthilfegruppen vor allem

aufzeigen, wie viel im Sozialbereich noch politisch zu lösen ist. Und in Politik wie in den Selbsthilfegruppen selbst träumen manche davon, daß Selbsthilfegruppen ein perfektes Allheilmittel einerseits für den leeren Staatssäckel und andererseits für eine viel zu oft bürgerferne Verwaltung sind.

In der Regel sind die Gruppen aber ausschließlich auf ein kon-

kretes Ziel ausgerichtet: eben mit einer Krankheit fertig zu werden oder sich selbst Arbeit zu beschaffen, zum Beispiel. Man will ein persönliches Problem mit anderen, die auch dieses Problem haben, lösen. Und das ist schon sehr viel.

Der Autor ist Redakteur des ORF-Hörfunk, Abteilung „Gesellschaft, Jugend und Familie" und war wesentlich am Aufbau der 03-Kummernummer beteiligt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung