Die organisierte Selbsthilfe

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Streß und Sucht und die Rolle von Selbsthilfegruppen standen im Mittelpunkt der ersten österreichischen Präventionstagung.

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Streß und Sucht und die Rolle von Selbsthilfegruppen standen im Mittelpunkt der ersten österreichischen Präventionstagung.

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Der jährliche Schaden, der durch Konsum, Mißbrauch und Abhängigkeit von Alkohol entsteht, beläuft sich in Österreich auf bis zu vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes", schätzt Professor Rudolf Mader vom Anton-Proksch-Institut in Kalksburg bei der ersten "Österreichischen Präventionstagung", veranstaltet vom "Fonds Gesundes Österreich", die Folgekosten von Alkoholismus.

Im Mittelpunkt der Tagung standen die Bedeutung von Streß und Sucht, aber auch die Rolle von Selbsthilfegruppen. Denn viele körperlichen Krankheiten werden durch seelische und soziale Faktoren verursacht oder verstärkt, erklärt Dennis Beck, Geschäftsführer des Fonds Gesundes Österreich.

Substanzgebundene (etwa Nikotin und Alkohol) als auch nichtsubstanzgebundene Abhängigkeit (Spiel-, Kauf- und Eßsucht) wirken massiv auf die Gesundheit des einzelnen ein. Das zusätzliche Problem dabei: Wer bereits von einer Substanz abhängig ist, wird auch leichter zu einer weiteren greifen, erläutert Mader. "76 Prozent der im Anton-Proksch-Institut aufgenommenen Alkoholkranken sind gleichzeitig Raucher," so Mader.

Lernen, nein zu sagen Wir brauchen deshalb mehr wirksame Präventionsmaßnahmen auch gegen legale Drogen", fordert Dennis Beck, Geschäftsführer des Fonds Gesundes Österreich. "Ziel ist unter anderem die Förderung von Lebenskompetenz und Selbstvertrauen ebenso wie die Fähigkeit, mit Konflikten umzugehen." Suchtprävention müsse so früh wie möglich ansetzen, am besten bereits in der Kindheit (siehe auch Kasten).

Frühzeitig angebotene Präventionsmaßnahmen, betont Beck, sollen Kinder und Jugendliche in die Lage versetzen, gegebenenfalls "nein" zu legalen Drogen wie Alkohol, aber auch psychoaktiven Substanzen sagen zu können. Dies sei schon deshalb besonders wichtig, weil Jugendliche ein erhöhtes Suchtpotential aufweisen. Während etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung schwer suchtgefährdet ist, liegt dieser Wert bei Jugendlichen zwischen drei und fünf Prozent, so Beck.

Ein weiteres zentrales Thema der Tagung waren Selbsthilfegruppen. Die neue Studien "Wirkung von Selbsthilfegruppen auf Persönlichkeit und Lebensqualität", die im Auftrag des Fonds Gesundes Österreich durchgeführt wurde, belegt die positiven Effekte von Selbsthilfegruppen auf das Wohlbefinden und den Informationsstand der Teilnehmer.

"Menschen, die bei Selbsthilfegruppen mitmachen, können mit ihrer Krankheit und ihren Folgen besser umgehen", berichtet Studienleiter Universitätsprofessor Herbert Janig von der Abteilung für Psychologische Grundlagenforschung der Universität Klagenfurt über die Ergebnisse der Studie. "Sie haben mehr Freude und Lebensmut, sind selbstbewußter, wissen mehr über Therapien, und fühlen sich besser verstanden und weniger isoliert. Die Teilnehmer von Selbsthilfegruppen haben gelernt, ihrer neuen Lebenssituation etwas Positives abzugewinnen."

Fazit: Teilnehmer von Selbsthilfegruppen erleben ihre Krankheit offenbar nicht als "Feind", den es zu bekämpfen und zu vernichten gilt. Sie haben gelernt, ihre Erkrankung, beziehungsweise Behinderung in ihre Persönlichkeit zu integrieren. Deshalb sei es in der Präventionsarbeit sinnvoll, Selbsthilfe zu unterstützen, meint Janig. Denn diese verfügen über gesundheitsförderliche Ressourcen und erbringen eine neue, zusätzliche Leistung im Gesundheitswesen.

"Selbsthilfegruppen kommen den Bedürfnissen vieler Menschen entgegen und gewährleisten ein stabiles, gesellschaftlich anerkanntes Umfeld", erklärt Janig. Dies seien Grundvoraussetzungen für das seelische Wohlbefinden des Einzelnen, egal ob er bereits unter einer Krankheit leidet oder eher im psychologisch-therapeutischen Bereich Unterstützung sucht.

Viele Teilnehmer von Selbsthilfegruppen, so das Ergebnis der Umfrage, sind "mit der Behandlung und Betreuung, die sie seitens der Ärzte in Krankenhäusern erfahren haben, unzufrieden." Kritisiert werden unter anderem eine mangelnde Gesprächskultur, zu geringes Spezialwissen über die Begleitumstände der Erkrankung, zu geringe Erfahrung mit bestimmten Erkrankungen, aber auch Unwilligkeit und Inkompetenz bei der erwünschten oder erforderlichen Aufklärung.

Erfahrungsaustausch Persönliche Gespräche innerhalb der Selbsthilfegruppen, aber auch Vorträge von Ärzten und Fachleuten können diese Defizite auffangen. Die Auswertung der Studie bestätigt, daß sich Selbsthilfegruppen deshalb so positiv auswirken, weil sie das Informationsbedürfnis der Patienten oder deren Angehöriger befriedigen. Selbsthilfegruppen bieten Rückhalt nach einem belastenden Lebensereignis. "In den Gruppen wird die meiste Zeit für den gegenseitigen Erfahrungsaustausch über den praktischen Umgang mit der Erkrankung und Gespräche über die eigenen Gefühle aufgewendet", erzählt Janig und "In Selbsthilfegruppen treffen sich Menschen, die durch ihre spezifische Leidenserfahrung ihre Eigenverantwortung erkennen und in der Gruppe individuelle Bewältigungsstrategien suchen."

Im Detail zeigt die Studie, daß bei Selbsthilfegruppen Frauen mit einem Anteil von rund 70 Prozent überwiegen. Rund die Hälfte der Teilnehmer ist zwischen 42 und 59 Jahre alt. Das Motiv für die Teilnahme ist oft eine tiefe Verzweiflung und das Gefühl des Alleingelassenseins, von dem Patienten erfaßt werden, nachdem ihnen die Diagnose bekannt gegeben wurde oder sie aus dem Krankenhaus entlassen wurden. Auch das Bedürfnis zu Helfen und selbst Hilfe zu erhalten ist neben dem Wunsch, andere, gleichermaßen Betroffene kennen zu lernen, für den Kontakt mit Selbsthilfegruppen ausschlaggebend.

"Die Bedeutung und Präsenz von Selbsthilfegruppen sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Allein im Gesundheitsbereich existieren hierzulande mittlerweile mehr als 1.000 Selbsthilfeorganisationen, -gruppen und -zusammenschlüsse", unterstreicht auch Andrea Lins, Projektleiterin von SIGIS, die Bedeutung der Selbsthilfegruppen. Das Projekt SIGIS wurde bereits 1993 vom Fonds Gesundes Österreich initiiert und unterstützt Selbsthilfegruppen in Österreich. Interessenten können sich bei SIGIS über ein Servicetelefon (Tel.: 01/895 0401) über Selbsthilfegruppen informieren. Erhältlich ist bei SIGIS darüber hinaus nun ein Gesamtverzeichnis aller österreichischen Selbsthilfegruppen im Gesundheitsbereich: von A wie Alkohol bis Z wie Zöliakie. Nach Bundesländern und Tätigkeitsbereichen gegliedert, bietet diese Broschüre einen sehr nützlichen Leitfaden durch die zahlreichen Gruppen, Initiativen, Dachorganisationen und Kontaktstellen.

Suchtprävention im Kindergarten Informationsbroschüren zum Thema "Suchtprävention im Kindergarten" hat nun die Informationsstelle für Suchtprävention der Stadt Wien aufgelegt. Silvia Franke, Leiterin der Informationsstelle: "Sucht entsteht nicht von heute auf morgen. Wir wissen, daß es dazu immer eine Vorgeschichte gibt, die oft bis in die frühe Kindheit zurückreicht. Umfassende Suchtprävention setzt daher bei den Wurzeln, im Kindesalter an."

Die früher praktizierten Methoden der Abschreckung hätten wenig gefruchtet und sei nun realitätsnaher Information gewichen. "Zentrale Schutzfaktoren sind Selbstwert, Selbstakzeptanz und Selbstwirksamkeit. Kinder brauchen für die Entwicklung ihres Selbstwertes das nötige Vertrauen in die Welt, sich von Geburt an willkommen und angenommen zu fühlen", erklärt Franke. Wer als Kind nicht die notwendige ausreichende Spiegelung erfährt, benutze später eher als andere Menschen Suchtmittel als Ersatz. Der beste Schutz davor, süchtig zu werden, sei die stabile, starke und gesunde Persönlichkeit eines Menschen. Gerade in der frühen Kindheit werden diese Fähigkeiten entwickelt.

Der Arbeitsband für KindergärtnerInnen und der Tagungsband zur Enquete "Europäische Woche der Suchtprävention" beschäftigen sich mit jenen Fähigkeiten, die Kinder für eine gesunde Entwicklung und zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit brauchen. Es sollen damit Ideen und Anregungen vermittelt werden, wie Suchtprävention im Kindergarten vielfältig und kreativ umgesetzt werden kann. Die Informationsstelle für Suchtprävention der Stadt Wien bietet seit mehr als drei Jahren auch Fortbildungslehrgänge und Seminare für KindergärtnerInnen (Information: 01/531 148 58 10). kun.

Hinweis In der letzten Ausgabe ist leider die letzte Zeile des Artikels "Alles zum Thema Energie" weggerutscht. Die vollständige Bezugsquelle lautet: Verband der Elektrizitätswerke, Tel.: (01) 505 17 27. Wir bitten um Entschuldigung.

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