Igel  - ©  iStock/Bebedi

Mit dem Igel im Lockdown

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Es gibt Parallelen zwischen Pandemie und Märchenschatz: Die Geschichte von Hase und Igel etwa scheint derzeit umgedreht. Die Politiker-Hasen stehen untätig an Start und Ziel herum, wir Igel laufen uns dazwischen zu Tode.

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Es gibt Parallelen zwischen Pandemie und Märchenschatz: Die Geschichte von Hase und Igel etwa scheint derzeit umgedreht. Die Politiker-Hasen stehen untätig an Start und Ziel herum, wir Igel laufen uns dazwischen zu Tode.

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Oh, dieser Lockdown! Weltoffene, kommunikative Außen-Seiter im besten Wortsinn werden per Verordnung zu Insidern der eigenen vier Wände. Es ist ein qualvoller Zustand. Doch es gibt auch andere, die ihr zu Hause dermaßen lieben, dass sie die Reduktion auf die eigenen vier Wände gutheißen. Ihr Wappentier könnte der Igel sein. Denn in unseren Märchen ist der Igel stets der schlaue, häusliche Kleinbürger, ein Spießer durch und durch.

Die Bundesregierung hat bei ihrer Lockdownentscheidung sicher nicht mitbedacht, dass sich die Igel im echten Leben tatsächlich in diesen Wochen in den Winterschlaf begeben. Anlass genug für die „Animal Spirits“ nachzufragen, was denn so dran ist an einem solchen vollkommenen Bei-sich-Sein, wie der echte Igel das übt. Die von den Biologen „Hibernation“ genannte Überwinterung ist ein Zustand, in dem der Igel seinen gesamten Verbrauch zurückfährt und auf das Allerwesentlichste herunterdrosselt. Seine Körpertemperatur fällt auf ein bis fünf Grad. Mit der im Herbst angefressenen Fettschicht kann er von November bis März überleben.

Radikale Umstellungen

Es ist für den Igel eine wahrhaft radikale Umstellung, denn auch er ist, wie der Mensch, von Natur aus ein Wanderer, der in der wärmeren Jahreszeit seine gesamte Wachzeit, also von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang, auf Nahrungssuche verbringt. Die Umstellung im Winter ist freilich für den Igel so notwendig wie der aktuelle Lockdown für den Corona-geplagten Staat. Denn alles außer Winterschlaf respektive Lockdown wäre mit einer hohen Selbstgefährdung verbunden. Der Igel würde erfrieren, so wie der Staat seine Grundfunktion aufgeben würde, seine Bürger zu schützen. Selbstaufgabe also in beiden Fällen.

Freilich liegt der Teufel im Detail, denn der Igel nimmt seinen Winterschlaf ernst und schaltet wirklich zurück. Der Staat tut das aber nicht. Er lässt seine Bürger nicht zur Ruhe kommen, zumindest jene nicht, die arbeiten. Sie werden hie und da mit dem Gerede abgespeist, nun endlich ein Buch lesen oder an ihren Beziehungen zu sich und ihren Familien bauen zu können. Aber eigentlich ist das Augenauswischerei.

Denn man sagt in Wirklichkeit: Gib weiter deine 100 Prozent, aber von zu Hause aus. Und wenn du gut Mama oder Papa bist, dann jongliere auch noch Bildung und Freizeit deiner Kinder, damit dir nicht ein Landesvater wie Wilfried Haslauer unterstellt, du würdest deine Kinder nicht betreuen WOLLEN, wenn du sie in die Schule gibst. Man macht es sich da obrigerseits etwas leicht mit uns Igeln/Bürgern, wenn man als Politiker kräftig an einem Lockdown mitarbeitet, um uns dann vorzuwerfen, wir seien nicht anständig, wenn wir nicht alles gleichzeitig stemmen können. Es ist fast so wie in der Geschichte mit dem Hasen und dem Igel – nur umgedreht: Die Hasen-Politiker stehen untätig an Start und Ziel, und wir Igel keuchen uns die Lungen aus dem Leib.

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