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Eine kleine Igelgeschichte

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Eines Tages ging ich am Ufer des kleinen Baches entlang und erblickte einen Igel. Er bemerkte mich ebenfalls und rollte sich zusammen. Ich berührte ihn mit der Fußspitze — darauf schnaufte er und ich verspürte die Stacheln an meinem Schuh.

„Ah, so einer bist du“, sagte ich und stieß ihn mit der Fußspitze in den Bach. Sofort rollte der Igel sich im Wasser auf und schwamm wie ein kleines Schweinchen ans Ufer, nur, daß er am Rücken eben statt der Borsten Stacheln hatte, ich nahm ein Stöckchen, beförderte damit den Igel in meinen Hut und ging mit ihm nach Hause..

Ich hatte in meinem Landhaus viele Mäuse, wußte, daß ein Igel gerne Mäuse vertilgt und beschloß daher: Mag er bei mir bleiben und Mäuse fangen.

Zu Hause angekommen, legte ich die stachelige Kugel auf den Fußboden in die Mitte meines Zimmers und setzte mich an den Schreibtisch, beobachtete den Igel aber ständig aus dem Augenwinkel. Er lag nicht lange unbeweglich. Da ich ruhig am Schreibtisch saß, rollte er sich auf, sah umher, machte einige Schritte, kroch unter mein Bett und blieb dort liegen.

Als es zu dunkeln begann, zündete ich eine Lampe an und — der Igel kam unter dem Bett hervor. Er hielt die Lampe wahrscheinlich für den Mond, der im Walde aufgegangen war (die Igel laufen gern bei Mondenschein über die Waldlichtungen). Und so begann er im Zimmer umher-zuspazieren, wohl in der Meinung, er sei auf einer Waldlichtung. Ich griff nach meiner Pfeife, “begann zu rauchen und blies neben den „Mond“ ein Wölkchen. Es war jetzt genau wie im Walde: Der Mond wer da, die Wolken waren da, und meine Beine waren wie Baumstämme, welche dem Igel anscheinend /refielen. Er trippelte an ihnen vox-bei und beschnupperte meine Schuhe.

Nachdem ich die Zeitung zu Ende gelesen hatte, ließ ich sie auf den Boden fallen, legte mich ins Bett und schlief ein.

Ich habe einen sehr leichten Schlaf — und hörte plötzlich ein Geräusch in meinem Zimmer. Ich knipste meine Taschenlampe an und sah den Igel gerade noch unter das Bett flitzen. Die Zeitung aber lag nicht mehr neben meinem Schreibtisch, sondern in der Mitte des Zimmers. Ich ließ die Lampe brennen, schlief )aber nicht ein, sondern überlegte: Wozu hatte der Igel sich eigentlich die Zeitung geholt?

Kurz darauf kam der Igel wieder unter dem Bett hervor und steuerte direkt auf die Zeitung zu; er machte sich mit ihr zu schaffen, drehte sich nach allen Seiten und es gelang ihm schließlich, ein Ende der Zeitung mit seinen Stacheln aufzuspießen und sie in die Zimmerecke zu schleppen. Nun verstand ich ihn: Die Zeitung war ihm hier dasselbe wie im Wald das trockene Laub — er hatte sie in die Ecke geschleppt, um sich dort so etwas wie ein Nest zu machen. Und tatsächlich: Kurz darauf hatte der Igel sich vollkommen in der Zeitung vergraben. Als er dieses wichtige Geschäft beendet hatte, kam er aus seiner neuen Behausung wieder heraus und blieb in der Nähe des Bettes stehen.

Ich ließ wieder ein paar „Wolken“ aufsteigen und fragte: „Nun, was willst du jetzt noch?“ Der Igel erschrak durchaus nicht beim Klang meiner Stimme. „Willst du vielleicht Wasser?“ Ich stand auf. Der Igel lief nicht davon. Ich nahm einen Teller, stellte ihn auf den Fußboden, brachte einen Eimer Wasser, goß es zuerst in den Teller und hierauf wieder in den Eimer zurück. Und das alles mit so viel Geräuch, daß es sich anhörte, als ob ein Bächlein rauschte. „Nun, komm schon“, sagte ich, „du siehst doch, ich habe dir einen Mond geschaffen und Wolken dazu. Jetzt hast du auch noch Wasser!“

Ich sah: Mein Igel näherte sich dem Wasser und begann zu trinken. Ich aber streichelte vorsichtig seinen stacheligen Rücken und redete ihm zu: „So, jetzt gehen wir schlafen.“

Ich legte mich wieder nieder und löschte die Lampe aus.

Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte, hörte aber mit einemmal wieder ein Geräusch. Ich machte wieder Licht — und was sah ich? Der Igel rannte im Zimmer umher und auf seinen Stacheln steckte ein Apfel! Er näherte sich seinem Lager, legte dort den Apfel nieder und tappte hierauf eilig in die andere Zimmerecke, wo ein Sack voll Äpfel stand. Wieder spießte er einen Apfel auf und schleppte ihn in sein Lager.

So wurde der Igel bei mir heimisch.

Wenn ich jetzt Tee trinke, setze ich ihn stets neben mich und biete ihm enweder ein Schälchen Milch oder eine Semmel an. Er nimmt alles voller Dankabrkeit!

Aus dem Russischen übersetzt von O. Buchholz

Am kommenden Samstag, dem 29. November, werden in ö 1 von 16.05 bis 17 Uhr folgende Bücher besprochen: Manes Sperber: Die vergebliche Warnung; Franz Innerhof er: Schattenseite; Rose Ausländer: Andere Zeichen; Nicolas Nabokov: Zwei rechte Schuhe im Gepäck; Hans Mayer: Außenseiter; Oswald Ober-huber: Apokalypse; Hrsg. David Drew: Über Kurt Weill; Gabriele Wohmann: Schönes Gehege; Alfred Gesswein: rama dama, rama woima, rama miasma — Gedichte im Wiener Dialekt (Änderungen vorbehalten).

• Professor i. R. Dr. Hans Bruneder, Begründer und jahrelanger Präsident des Grillparzer-Institutes, sowie Begründer und seit 1966 Ehrenobmann des Verbandes der österreichen Neuphilologen, begeht am 6. Dezember 1975 seinen 70. Geburtstag und wurde 1975 besonders im Hinblick auf seine kulturellen und pädagogischen Leistungen (Lehrbücher und andere Publikationen, literarische Arbeiten, Herausgabe von literarischen und neuphilologischen Zeitschriften) und sein Wirken für internationale Zusammenarbeit zum Ehrenpräsidenten des österreichischen Grillparzer-Institutes ernannt. — In entsprechendem Sinne wurden auch Dr. Gertrud Bruneder, Professor an verschiedenen Hochschulen, Dr. Hugo Ellenberger und Generalsekretär Professor Mag. Eugen Stengel zu Ehrenmitgliedern desselben Institutes ernannt.

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