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Die Gesandtin

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Die Gesandtin war schuld. Da drüben wohnte sie ganz allein und unnahbar in ihrer sogenannten Villa mit den stets geschlossenen Fensterläden im Erdgeschoß und den niemals geöffneten Vorhängen im ersten Stockwerk, gleich hochmütig herabgelassenen Augenlidern. Und drunten eine stachlige, abwehrende Hecke und ein Gitter, an dem den ganzen Tag der kleine weiße Hund stand und bellte.

Die Gesandtin war schuld. Herr Wra-nitzky hatte endlich eine ruhige Wohnung gefunden: stille, schweigsame Menschen, nirgends ein Klavier oder nachbarlicher Lautsprecherlärm. Hier hätte er sich in Ruhe mit seiner Erfindung beschäftigen können, dem lärm- und geruchlosen Verbrennungsmotor. Doch da hatte ihm das Schicksal drüben jenen Hund an das Gitter gestellt, dessen kläffende Kinderstimme jeden Gedanken schon im Keim ertötete.

Herr Wranitzky litt unsäglich. Er haßte den Hund grimmig und beschloß, die Gesandtin auf der Straße zur Rede zu stellen. Aber sie blieb unsichtbar. Sie thronte oben in ihren Appartements, lag vermutlich auf ihrem persischen Diwan und las durch ein französisches Lorgnon ein englisches Buch. Herr Wranitzky beschloß, diese aristokratische Ruhe zu stören und schrieb:

„Sehr geehrte gnädige Frau!

Es scheint Ihrer werten Aufmerksamkeit entgangen zu sein, daß Ihr geschätzter

Hund die ganze Nachbarschaft durch sein Gebell belästigt. Ich erlaube mir daher, Sie höflichst auf diesen Tatbestand hinzuweisen, und gebe mich der Hoffnung hin, daß Sie diesen übelstand so bald als möglich abstellen werden. Dadurch werden Sie nicht nur dem Hund, sondern auch Ihnen selbst (hier schwankte er längere Zeit, ob er nicht ,sich selbst“ schreiben solle) die Sympathien weiter Kreise erwerben.

Mit vollkommener Hochachtung August Wranitzky.“

Er gab den Brief zur Post und wartete. Jedoch vergebens. Es kam keine Antwort und der Hund bellte weiter. Mit jedem Tage wuchs der Groll Herrn Wranitzkys und er schrieb nochmals: „Euer Wohlgeboren!

Da meine Note vom 27. d. Ihrerseits keine Beachtung gefunden hat, sehe ich mich zu meinem mehr als großen Bedauern genötigt, zu weiteren Maßnahmen zu schreiten. Ich habe also beschlossen:

I. Falls binnen drei Tagen meine gerechten und maßvollen Forderungen nicht erfüllt sind, werde ich mich an die Behörden wenden. Da dies voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, werde ich

II. zur Selbsthilfe schreiten. Ich werde also zunächst Ihrem P. T. Hund gleichfalls Unannehmlichkeiten bereiten. Als solche sind vorgesehen:

A. Bewerfung desselben mit Steinen. Falls dies nichts nützt,

B. Gesundheitliche Schädigungen desselben durch Anspritzen mit a) Niespulver b) Ätzkali c) Salzsäure.

Wenn auch dies keinen Erfolg zeitigt, erfolgt die Vertilgung des Hundes in verläßlicher Weise.

A. Wranitzky. Herr Wranitzky wartete und beschäftigte sich indessen mit der Erfindung eines geräuschlosen Fernhundevernich-tungsapparates. Die Frist verstrich. Es änderte sich nicht das Geringste. Da schäumte Herr Wranitzky auf in gerechtem Zorn. Er beschloß zu handeln. Die Versuche mit Steinen hatten nur eine Verstärkung des Gebells zur Folge. Das Niespulver versagte. Der einzige, der niesen mußte, war Herr Wranitzky selbst. Für die Chemikalien bekam er keinen Bezugschein. Die Behörden taten nichts.

Er schrieb nun der Gesandtin täglich einen Brief, in 4em er das Verhängnis langsam heranschleichen ließ. Immer nur einige lapidare Worte: „Das Arsenik ist gekauft“, „die Wurst liegt bereit“ und dergleichen. Alles erfolglos. Diese Frau mußte von einer geradezu unmenschlichen Härte und Grausamkeit sein. Ihr Hochmut kannte anscheinend keine Grenzen. Da entschloß er sich, persönlich zu ihr zu gehen und ihr Worte ins Gesicht zu schleudern, die sie von ihrer angemaßten Höhe ins Nichts herabstürzen sollten. V

Langsam stieg er die Treppen hinan. Der Hund tanzte bellend um seine Waden, ohne jedoch zu beißen. Wahrscheinlich war ihm der Stoff der Hose nicht fein genug. Er klopfte an eine etwas abgeschabte Tür. Dann fand er im Halbdunkel einen Glockenzug und läutete. Eine kleine Glocke bimmelte, dann regte sich lange nichts. Endlich näherten sich •tastende Schritte. Ein Schlüssel wurde zögernd umgedreht, die Tür ging langsam auf und eine alte Frau fragte: „Bitte, wer ist da?“

„Ich“, sagte Herr Wranitzky wahrheitsgemäß. „Ich möchte die gnädige Frau sprechen.“

Die Alte begann heftig zu zittern, sagte „Bitte“ und ging voraus in ein kleines,

ärmliches Zimmer, in dessen linker Ecke ein niedriger eiserner Ofen stand. Die Einrichtung war überaus bescheiden, es rodi nach uralten Parfüms und wurmstichigem Holz. An der Wand hing als einziger Schmuck das Brustbild eines stattlichen Mannes mit vielen Orden. Die alte Frau setzte sich auf einen uralten Diwan, und an der einfachen und natürlichen Handbewegung, mit der sie ihn einlud, Platz zu nehmen, erkannte er, daß er die Frau des Hauses vor sich habe.

„Mein Name ist Wranitzky“, stieß er noch rasch hervor, ehe er in der Tiefe eines ungeheuren Fauteuils versank. Die alte Dame saß ihm gegenüber mit leicht geneigtem Kopf, die runzligen Hände im Schoß gefaltet, mit erstaunlicher Selbstbeherrschung die gesellschaftliche Haltung bewahrend. Nur die Hände preßten sich kaum merklich zusammen und die Lippen zitterten ein wenig. Klein, hilflos und gebrechlich saß sie vor dem Besucher. Der Hund stand neben ihr und blickte unverwandt zu ihr hinauf.

Das war die verhaßte Gesandtin. Sie saß regungslos da und wartete, was Herr Wranitzky zu sagen habe. Aber dieser konnte sich auf seine prachtvollen starken Worte durchaus nicht besinnen. Er war äußerst verlegen und errötete.

„Ich muß Sie um Entschuldigung bitten, daß mein Hund Sie belästigt“, sprach sie endlich leise, „es ist mir sehr peinlich und ich habe mich gleich nach Ihrem ersten Briefe bemüht, Ihrem Wunsche zu entsprechen. Ich versuchte, den Hund im Zimmer oder in der Küche zu behalten. Aber es war mir nicht möglich. Er stand ununterbrochen bei der Türe und sah mich traurig an. Wenn man mit einem Tier ständig so lange zusammenlebt wie ich, wird man mit dem Seelenleben des Tieres vertraut. Er konnte diese Veränderung nicht begreifen. Er war verwirrt, traurig, beinahe krank. Er konnte nicht verstehen, daß gerade ich ihm seine einzige Freude nahm. Ich bin zu schwach, um mit ihm auszugehen. Was sollte ich tun? Ich dachte sogar daran, ihn wegzugeben. Aber ich hatte nicht die Kraft dazu. Er hängt sehr an mir. Und ich habe nichts mehr als diesen Hund. Glauben Sie mir, er bellt nicht aus Bosheit, sondern aus Freude an Licht und Luft, vielleicht auch aus Sehnsucht nach Freiheit. Ich konnte mich nicht von ihm trennen. Sie müssen verzeihen ...“

„Oh, bitte“, murmelte Herr Wranitzky noch verlegener. Sie schwieg. Beide blickten auf den Hund, der erwartungsvoll bei der Türe stand. Endlich sagte Herr Wranitzky:

„Wenn Sie, Gnädigste, mir wenigstens eine Zeile geschrieben hätten, als Antwort .... als Erklärung ...“

„Das wollte ich ja tun. Aber das Schreiben fällt mir schwer. Und nach Ihrem zweiten Briefe hatte ich nicht mehr den Mut. Ich hatte Angst vor Ihnen, entsetzliche Angst. Ich habe seither keine Nacht mehr geschlafen. Ich stellte Sie mir vor als einen Mann mit ungeheuren Fäusten und wildem Blick. Ich lese keine Zeitungen, ich spreche mit niemandem. Ich dachte, vielleicht ist draußen wieder eine schreckliche Revolution ausgebrochen. Ach, Gott sei Dank ... Gott sei Dank!...

Verzeihen Sie... ich kann Ihnen nichts anbieten. Vielleicht eine von den Zigarren meines Mannes. Ich erinnere mich, daß er eine gute Sorte rauchte...“

Sie trippelte eilig zu der Kommode und brachte ein vergilbtes Kistchen, in dem einige halb entblätterte Henry Clay mit roten und goldenen Ringen lagen. Nachdem Herr Wranitzky sich, wie es in der Gesellschaft des ancien regime gebräuchlich gewesen war, entsprechend gesträubt hatte, nahm er die Zigarre und erhob sich. Denn der Hund wurde schon ungeduldig. Es wurde taktvoll vermieden, die Hundefrage nochmals zu berühren. Er verließ das Haus. Der Hund tänzelte freudig bellend vor ihm her.

Herr Wranitzky begrub das Kriegsbeil und begann eine Wohnung in pintsch-freier Gegend zu suchen. Manchmal, wenn \r sich seines Feldzuges gegen die Gesandtin erinnerte, dachte er, daß mancher Streit im kleinen wie im großen vermieden werden könnte, wenn jeder sich bemühen würde, den Feind kennenzulernen und seine Not zu verstehen.

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